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So kam der Mensch auf den Hund

Titel: So kam der Mensch auf den Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Konrad Lorenz
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währte gut eine Minute, bis sie mit ihrer Nase
     dicht an ihn herangekommen war; dann begann sie plötzlich sein Fell zu lecken, mit weitausholenden und saugenden Zungenbewegungen,
     die gewöhnlich dazu dienen, die Eihäute neugeborener Jungen zu entfernen. Dieses Verhalten bedarf einer ausführlichen Erklärung.
    Fressen Säugetiermütter ihre Jungen sofort nach dem Wurfe auf, was bei Haustieren, etwa Schweinen oder Kaninchen, leider gar
     nicht so selten vorkommt, so sind fast immer jene Handlungen fehlgeleitet, welche die Entfernung der Eihäute und des Mutterkuchens
     sowie das Abnabeln bezwecken. Ist das Junge samt den Eihäuten geboren, dann beginnt die Mutter damit, durch saugendes Lecken
     eine Falte in den Eihäuten so weit hochzuziehen, daß sie diese mit den Schneidezähnen fassen und durch ein vorsichtiges Beißen
     öffnen kann. Dieses vorsichtige Beißen, mit zurückgestülpter Nase und entblößten Schneidezähnen, gleicht äußerlich der bekannten
     Bewegungsweise, mit der Hunde sich flöhen, das heißt, den Pelz durchkauen in der Hoffnung, den Floh zu knacken. Ist die Eihaut
     geöffnet, wird sie durch fortgesetztes saugendes Lecken mehr und mehr in den Mund der Mutter gezogen und langsam gefressen,
     hernach, mit den gleichen Bewegungen, der Mutterkuchen und der anschließende Teil der Nabelschnur. Dort angelangt, knabbert
     und lutscht das Tier immer vorsichtiger, wodurch schließlich das freie Ende der Nabelschnur zu einem wurstzipfelähnlichen
     Gebilde zusammengedreht wird. Dann aber muß die Handlung natürlich aufhören, denn sonst – eine bei Haustieren häufige Störung
     – wird oft nicht nur die gesamte Nabelschnur aufgefressen, sondern auch der Bauch des Jungen vom Nabel aus geöffnet. Ich besaß
     eine Kaninchenhäsin, die mit der beschriebenen Prozedur erst aufhörte, nachdem sie die Leber ihrer neugeborenen Kinder verzehrt
     hatte. Wie Bauern und Kaninchenzüchter wissen, kann man derlei verhindern, indem |105| man die Neugeborenen sofort wegnimmt, selbst abnabelt und reinigt und sie erst einige Stunden später, wenn der Trieb, Eihäute
     und Mutterkuchen zu fressen, erloschen ist, ins Nest zurückgibt. Auch Säugetiermütter, deren Triebverhalten durchaus ungestört
     ist, fressen tote oder schwer kranke Junge auf, um sie aus dem Wurfe zu entfernen. Hierzu benützen sie die gleichen Bewegungsweisen
     wie zum Fressen der Eihaut und des Mutterkuchens und beginnen demgemäß in der Nabelgegend des Jungen zu fressen. Im Schönbrunner
     Tiergarten erlebte ich hierfür ein sehr eindrucksvolles Beispiel. Der Zoo besaß damals eine gelbgefleckte Jaguarin und einen
     schwarzen Jaguar, die alljährlich einen Wurf kohlschwarzer Kinder erzeugten. In jenem Jahre nun hatte die Großkatze nur ein
     einziges Junges geboren, und auch dieses war von Anfang an kränklich, so daß Professor Antonius, Direktor des Tiergartens,
     an seinem Aufkommen zweifelte. Wir trafen die Jaguarmutter gerade damit beschäftigt, ihr krankes, etwa zwei Monate altes Kind
     nach Katzenart sorgfältig zu »waschen«, das heißt von oben bis unten abzulecken. Eine sehr tierverständige Malerin, die Stammgast
     des Tiergartens war und eben auch vor dem Jaguarkäfig stand, äußerte gerührt, wie besorgt doch die Mutter um ihr krankes Kind
     sei. Antonius aber schüttelte traurig den Kopf und sagte zu mir: »Prüfungsfrage an den Verhaltensforscher – was geht gegenwärtig
     in der Jaguarmutter vor?« Ich wußte Bescheid: Das Lecken war eigentümlich nervös und hastig, es zeigte einen leichten Einschlag
     von Saugen, und zweimal hatte ich gesehen, wie die Mutter mit der Nase unter den Bauch des Jungen gestoßen und ausgesprochen
     zielgerichtet nach der Nabelgegend geleckt hatte. Ich antwortete daher: »Beginnender Konflikt zwischen Brutpflege und aufquellender
     Reaktion zum Auffressen toter Jungen!« Leider hatten wir recht. Schon am nächsten Tag war der kleine Jaguar spurlos verschwunden:
     Die Mutter hatte ihn gefressen...
    Dies alles fiel mir sogleich ein, als ich die Art und Weise sah, in der Senta den kleinen Dingo abschleckte. Und richtig:
     Schon nach wenigen Minuten stupste sie mit der Nase unter |106| den Bauch des Welpen, der dadurch auf den Rücken rollte, begann dann genau an seinem Nabel zu lecken und bald auch mit den
     Schneidezähnen das Kind zart in die Bauchhaut zu zwicken. Natürlich schrie und weinte der Dingo. Senta prallte wiederum zurück,
     als sei ihr bewußt geworden: »Um Gottes Willen, ich

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