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So muss die Welt enden

So muss die Welt enden

Titel: So muss die Welt enden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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erkämpft. Eine Schwarzblütige hättest du nie geliebt, aber in mich hast du dich verliebt.«
    Sie öffnete die Augen. George war fort.
    Ich verstehe die Geborenen nicht im mindesten, gestand Morning sich ein. Ich liebe diesen Mann, und trotzdem habe ich keine Ahnung, was ihm etwas bedeutet.
    Dem Lichtkegel ihrer Stablampe nach lief sie durch den Irrgarten der Eis- und Stahlstollen, folgte dem Knirschen und Stampfen der Stiefel Georges, seinem Gebrüll, das von den frostharten Innenflächen derNeuen Amundsen-Scott-Station widerhallte, einem Geheul unermeßlich tiefen Grams, einem Grölen gegen Gott geschleuderter Flüche sowie – am häufigsten, immer wieder – von tausendfachen Echos verstärkten Herausschreien der Forderung, das Universum möge ihm ein Kind schenken.
    *
    Das Gebrechen hatte seinen Ausgangspunkt in der Milz. Sverre konnte fühlen, wie es das dicke Organ zersetzte, sich rings um es ausbreitete, in seine Lymphflüsse sickerte, ins Quellgebiet des Herzens kroch. Stunden-, tagelang lag er in seiner Koje, das Voranschreiten seines Annulliertenunheils aufzuhalten außerstande, während sein Geist an der vernebelten Grenze zwischen Schlaf und Vergessen entlangirrte. Sein Gehirn trieb auf dunklen, teerigen Strömen. Gelegentlich zeigte es ihm Bildfetzen seiner geliebten Kristin, häufiger jedoch eine antarktische Kluft, einen Stollen zur Hölle.
    Es stand alles in der McMurdo-Sund-Konvention. Sverre war der erste seiner Art gewesen, der auf den Kontinent gelangte, deshalb mußte er ihn auch als erster verlassen. Ragnarök, dachte er. Weltuntergang. Mit seinen neuen Versen war er zufrieden. Sie reimten sich nicht; wahre Dichtung brauchte keine Reime.
     
Fürwahr schlug Thor die Midgardschlange,
Als Jörmungand dem Meer sich entrollte,
Und des Wurmrachens letzter Brodemhauch
Versengte den Gott, verdorrte sein Blut.
Sodann zerbarst der Sterblichen Welt,
Und sie versank in den ewiglichen Winter.
     
    Ragnarök – Fälligkeitstermin aller Schulden, Höhepunkt aller Sagen. Und so durchstürmte, getreu der legendären Überlieferung, ein antarktisches Unwetter das U-Boot, das Schnauben des Seeungeheuers blies die Luken aus den Angeln, sauste durch die Korridore, stob in Sverres Kabine. Er hüllte sich enger in die Decken, aber gegen den Atem des Ungetüms schützten sie nicht; er preßte ihm Mark und Bein zusammen, verwandelte sein Gummiauge in ein Hagelkorn. In seinen Ohren dröhnte das Wummern von Jörmungands Herz.
    Er erwachte. Das Herz war jemandes Faust, die an seine Kabinentür hämmerte.
    Er wälzte sich aus der Koje und geriet als erstes mit der Nase in den eigenen Gestank, die Ausdünstung von mit Gin und Schweiß durchtränktem Fleisch. Gin, so wußte er, nur Gin konnte ihm zur Tür helfen. Er hinkte zu seinem Schreibtisch, entdeckte die Flasche, hob sie an den Mund. Seine vom Alkoholmißbrauch fahrige Hand tatterte über die Schreibtischfläche, kippte das Tintenfaß um, versaute Seiten seiner Ballade Thors Saga mit Klecksen.
    Vor der Tür standen zwei Gespenster in ARES-Monturen. Reif bedeckte sie. Im Bart der einen Gestalt wütete ein Schneesturm.
    »Sie tragen keine Uniform«, sagte Morning, während sie den Helm abnahm.
    »Dr. Valcourt?« Sverre trank einen Zug aus der Flasche.
    »Per Geier vom Pol zum Astrid-Land in einundfünfzig Stunden«, antwortete sie. »Das muß ein Rekord sein, oder? Wir kommen ins Guinness-Lexikon der Superlative.«
    »Morning und ich lieben uns«, sagte George.
    »Weiß ich«, nuschelte der Kapitän.
    Sverre tat einen Schritt vorwärts, stolperte. George fing ihn mit eisbärhafter Umklammerung auf, die Gin-Flasche klirrte auf den Fußboden. Es erschreckte George, wie ausgezehrt der Kapitän war, seine Haut glich Papier, sein Bart hatte Färbung und Beschaffenheit ausgedörrten Seetangs. Er trug Sverre zur Koje, bettete ihn in die von dessen Körper der Matratze eingedrückten Mulde. Sverre bat um seine Dichtung und den Gin. George hob die Flasche auf, während Morning die Papiere vom Schreibtisch holte.
    »Ich habe die Hinrichtungen gesehen«, sagte Sverre. »Tarmac hat die Haube abgelehnt. Ein echter Nobelgeneral…« Er hustete. »Ich hätte gerne, daß jemand mir Thors Saga vorliest.«
    Morning las dem Kapitän seine Ballade vor.
    »Nicht übel, was?« fragte Sverre.
    »Sie wären ein enorm guter Texter für Grabinschriften gewesen«, meinte George.
    »Seien Sie ehrlich. Taugt das was?«
    »Sie sind ein Dichter von Weltgeltung geworden«, antwortete

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