So nah bei dir und doch so fern
Gegend lebte. Sie wusste, dass ich unter keinen Umständen den Rest meines Lebens in solch einem Mumienbunker verbringen wollte, und sie würde es nie zulassen. Sie erzählte Anita und Jaqui von dem Vorfall, und gemeinsam entwickelten die drei einen Plan.
Im Randgebiet von Dore gab es ein Projekt zum Bau neuer Wohnungen. Sie würden teuer werden, doch sie waren modern und mit etwas Arbeit sollten sie rollstuhlfreundlich umzugestalten sein. Meine Freundinnen nahmen sich vor, einen Teil ihrer Kapitalanlagen flüssig zu machen und mit Unterstützung der Mütter von Dore Spenden zu sammeln, um mir ein eigenes Zuhause und die Kosten für Pflegepersonal zu sichern, das sich künftig um mich kümmern sollte. Das war ein sehr ehrgeiziger Plan, doch er zeigte mir, was echte Freunde wert sind.
Das Gutachten hatte sich als herber Realitätstest für die gesamte Familie erwiesen. Meine Mutter und Dave machten sich zum ersten Mal seit meinem siebzehnten Lebensjahr Gedanken darüber, ob ich wieder mit ihnen zusammenziehen sollte. Für sie hätte es einen großen Aufwand bedeutet, denn sie hätten ihr Haus im achtzig Kilometer entfernten Macclesfield verkaufen und irgendwo in die Nähe meiner Freundinnen ziehen müssen, doch es war etwas, das sie für überlegenswert hielten.
Nach dem Gutachten fand sich Dave in unserem Haus ein und führte ein ernsthaftes Männergespräch mit Mark.
»Das hier ist ihr Zuhause, ihre Kinder sind hier, und Kate muss hier leben«, betonte er.
Rückblickend kann ich Marks Reaktion verstehen. Er mühte sich ab, gleichzeitig ein guter Vater und der Brötchenverdiener zu sein, er arbeitete lange Stunden und bewerkstelligte zusammen mit seiner und meiner Mutter irgendwie die Betreuung der Kinder. Plötzlich zu hören, er solle sich damit auseinandersetzen, wie unser Haus rollstuhlfreundlich gemacht werden könne, war zu diesem Zeitpunkt wirklich das Letzte, was ihm in den Sinn kam. Er war noch nicht in der Lage, sich ein Leben als Ganztagsbetreuer vorzustellen. Er brauchte Zeit, um einen derartigen Umbruch unserer Lebensumstände zu verarbeiten. Weder Mark noch irgendein anderes Familienmitglied oder meine Freundinnen hatten das volle Ausmaß meiner dauerhaften Abhängigkeit erfasst.
Im Anschluss an das Gutachten sprach meine Mutter persönlich mit Ming, der sich für die durch ihn verursachte Aufregung heftig entschuldigte. Er sah ein, dass das Gutachten viel zu früh erstellt worden war, und dass man sich einzig auf die positiven, wenn auch winzigen Fortschritte in meiner Entwicklung hätte konzentrieren sollen.
Er sagte meiner Mutter: »Man soll nie nie sagen, aber man muss sich selbst gegenüber realistisch bleiben. Die Chance, dass Kate irgendwann wieder gehen kann, ist absolut gering. Vielleicht wird sich ihr Zustand etwas bessern, doch Sie müssen sich auf die Tatsache einstellen, dass sie dauerhaft von Ihnen abhängig sein wird.«
An jenem Abend, als meine Freundinnen und meine Familie sich mit den Folgen auseinandersetzten, lag ich in meinem Bett und heulte mich in den Schlaf. Ich träumte, ich machte mich gerade für meinen üblichen Wochenend-Lauf fertig. Ich war angezogen, streckte Mark zum Abschied zwei Finger in die Luft und lief los. Ich rannte über die Berge, beide Beine taten ihren Dienst, die Arme bewegten sich auf und ab, und India, Harvey und Woody liefen neben mir.
Ich brauche niemanden, der mich betreut, dachte ich. Ich kann selbst für mich sorgen. Und ich werde wieder laufen!
Als Alison mich am nächsten Tag besuchte, war ich wie ausgewechselt. Der Lebensfunken war wieder da, wie sie es ausdrückte. Vor dem Gutachten sei die Person, die sie im Krankenbett gesehen hatte, nicht Kate gewesen, sondern die leere Hülle einer Frau. Sie konnte sich nur schwer vorstellen, dass ich mich von einem solchen Absturz erholen sollte.
Wenn Mütter an der Schule solch unsinnige Sprüche abließen wie »Sie wird es schon packen« oder »Sie wird in Nullkommanichts wieder auf den Beinen sein, du wirst es schon sehen«, dann dachte Alison oft nur: Wie kann man so etwas sagen, ohne sie gesehen zu haben? Doch von diesem Tag an sah sie Kate, die Kämpferin. Physisch hatte sich nichts geändert, ich war immer noch der Krüppel. Doch innerlich hatte mich Marks Reaktion wütend gemacht, und diese Wut war zu einer positiven Kraft geworden, die mich antrieb, gewaltige Sprünge zu machen, während die ganze Ärzteschaft nur winzige Fortschritte erwartete. Für mich lag die Besserung meines Zustands
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