So nah bei dir und doch so fern
nicht mehr in den Händen der Ärzte. Ich selbst übernahm die Kontrolle.
KAPITEL 19
Hondas und Rasenmäher
B evor wir nicht mit einem schweren Trauma konfrontiert sind, kann niemand von uns wirklich wissen, in welchem Maße wir damit zurechtkommen. Nicht anders war es mit Mark. Als jemand, der ärztliche Ratschläge befolgte, glaubte er den Medizinern, als sie sagten, ich würde nie wieder gehen oder sprechen können. Er sah doch mit eigenen Augen, dass ich nur noch ein schwacher Abklatsch jener Frau war, die er geheiratet hatte, dennoch wollte er es sich selbst nicht eingestehen, obwohl er in seinem tiefsten Inneren wusste, dass es so war.
Es gelang ihm nicht, meine schlechte Prognose irgendeinem seiner Freunde oder Arbeitskollegen anzuvertrauen. Er trug die Last, meinen Zustand akzeptieren zu müssen, ganz alleine, und um zu verhindern, in eine tiefe Depression zu fallen, flüchtete er sich in die stumpfsinnigsten, typisch männlichen Formen des Zeitvertreibs: regelmäßig das Auto waschen und den Rasen mähen.
Vor dem Schlaganfall dachte Mark, wie vermutlich viele Männer, Haushalt und Versorgung der Familie erledigten sich von selbst. Er wusste nicht, welch Geschick es erforderte, eine Supermutter zu sein. Die tägliche Routine verlangte Diplomatie und Disziplin, um die potenzielle Unordnung und das Chaos zu verhindern, das bei drei Kindern unter elf Jahren unweigerlich entsteht. Während er auf Geschäftsreisen rund um die Welt zu entlegenen Orten wie Chicago, Dubai und China jettete, Ärzte zum Essen einlud, um ihnen die Sanitätsartikel seiner Firma schmackhaft zu machen, hatte ich die Familie zusammengehalten.
Jetzt ging er immer noch regelmäßig zur Arbeit, obwohl er die Übersee-Reisen eingeschränkt hatte, damit er abends zu Hause für die Kinder da sein konnte. Am Ende eines langen Tages hatte er den zusätzlichen Stress, mich im Krankenhaus zu besuchen und zu versuchen, eine tapfere Miene aufzusetzen, was sicher härter war als die Arbeit. Wenn er später nach Hause kam, herrschte dort Chaos, weil Harvey oder Woody total ausgeflippt waren und sich weigerten, das zu tun, was ihnen die Großeltern sagten. Mit anderen Worten, Mark ging auf dem Zahnfleisch.
Also marschierte er oft zum Geräteschuppen, holte seinen Rasenmäher heraus und mähte den Rasen. Zwanzig Minuten pro Woche und die Befriedigung angesichts eines gepflegten Rasens, der Wimbledon alle Ehre gemacht hätte, waren seine Therapie.
Ich persönlich hätte eine Maniküre oder Nackenmassage vorgezogen, doch wir haben es hier mit Mark zu tun, und obgleich er sich gerne für einen modernen Mann des einundzwanzigsten Jahrhunderts hielt, verfiel er doch manchmal in das Verhaltensmuster des zwanzigsten Jahrhunderts. Mein Stiefvater und Marks Vater boten ihm oft genug an, für ihn den Rasen zu mähen. Aber nein, diese Tätigkeit, bei der er nur aufzupassen brauchte, dass er den Rasenmäher schnurgerade führte und nicht über das Elektrokabel fuhr, war seine Gelegenheit, abzuschalten.
Am Sonntagmorgen ging Mark einer ähnlichen Routine nach. Er holte Waschleder und Putzeimer hervor, rollte das Auto in die Auffahrt und wienerte den Wagen von vorne bis hinten. Darin unterschied sich Mark nicht von vielen seiner Freunde. Und während er das Auto wusch, blieben etliche Nachbarn auf dem Weg zum Kauf der Morgenzeitung stehen und schwatzten mit ihm – das wiederum vermittelte ihm ein Gefühl der Normalität.
Während ich noch auf der Intensivstation lag und Mark die Handlungsvollmacht besaß, beschloss er, mein Familienauto, einen schwarzen Kia Sportage 4 x 4, zu verkaufen, seinen Firmen-Volvo in Zahlung zu geben und sich seinen Traumwagen zu leisten, einen schwarzen Honda CRV 4 x 4. Das neue Auto ähnelte sehr meinem alten, außer dass es glänzte, neu war und Mark gehörte.
Er war der Meinung, er könne mein Auto nicht in Schuss halten, wenn ich so lange im Krankenhaus lag. Er brauchte ein Familienauto, das für seine Geschäftsfahrten taugte und groß genug war, um im Papas Taxi-Dienst den Kindern zu dienen. Mein Wagen stand nur herum und verursachte unnötige Kosten, daher machte es wirtschaftlich durchaus Sinn, beide Autos für den Honda in Zahlung zu geben.
Allerdings bedachte Mark nicht, welches Signal mit dem Verkauf meines Autos bei mir ankam, nämlich: »Kate, du wirst nie wieder am Steuer eines Autos sitzen.« Vielleicht war das der Grund, weshalb er es mir über Monate hinweg verheimlichte. Eines Tages dann, während ich in Osborn
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