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So nah bei dir und doch so fern

So nah bei dir und doch so fern

Titel: So nah bei dir und doch so fern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Allatt
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Behinderte vom Sonntagnachmittag sein.
    India, Harvey und Woody erschienen jede Woche bepackt mit Zeichnungen und selbst gemalten Karten in der Abteilung, um in die Sterilität meines Zimmers ein paar Farbtupfer zu bringen, und ihr Geschnatter erhellte meinen Nachmittag. Sie redeten über die Schule, Pfadfinder, Musik, Fernsehen und Fußball, und ich buchstabierte die Dinge, die wir gemeinsam unternehmen würden, wenn es mir wieder besser ging. Außerdem beklagten sie sich über ihre Großeltern.
    Zweifellos liebten die Kinder ihre Großeltern, aber sie waren kein Ersatz für ihre Mutter, und das führte zu viel Aufruhr im Haus. Marks Eltern waren die Oma und der Opa, die am Meer in Stockport wohnten. Die Kinder besuchten sie in den Schulferien und wurden nach Strich und Faden mit Ausflügen an den Strand und ins Erlebnisbad verwöhnt. Nana (meine Mutter) und Opa Dave wurden gleichermaßen mit Geschenken und Spaß assoziiert.
    An der Wand über dem Waschbecken in der Küche hing der Zeitplan, den ich am Morgen meines Schlaganfalls geschrieben hatte, er entsprach dem gewohnten Muster. Man darf mich getrost einen Kontrollfreak nennen, denn es gab einen täglichen Terminkalender für jedes der Kinder, für mich und für Mark. Ich hatte die Zeiten für Lesen und Hausaufgaben für India neben Pfadfindern und Tanzunterricht eingetragen, für Harvey neben dem Fußballtraining, für Woody neben Klavier- und Schwimmunterricht. Selbst Essenszeiten, der Besuch unserer Putzfrau, Marks Radausflüge am Wochenende und Indias Besuche bei Freundinnen wurden schriftlich festgehalten. Für mich war dies die einzige Möglichkeit, den komplizierten Zeitplan der Familie einigermaßen unter einen Hut zu kriegen.
    Mark hatte allen Großeltern aufgetragen, meiner Zeitplanung zu folgen, um die Normalität aufrechtzuerhalten, und als sich die Wochen großelterlicher Herrschaft zu Monaten auswuchsen, begannen die Kinder, sich gegen die Vorschriften aufzulehnen.
    Harveys Missfallen über Omas nicht auf die Treppe gehörende Hausschuhe habe ich bereits erwähnt, doch mit den Wochen wuchs der Unmut. Die beiden Großelternpaare mochten sich noch so sehr anstrengen, alles richtig zu machen, es schien nie gut genug zu sein. Alles und jedes führte zu einem Wutanfall. Harvey war der Ansicht, was er zu tun gedenke, sei nicht Sache seiner Großeltern, schließlich seien sie nicht seine Eltern. Einmal beschloss er, er wolle seine abendliche Milch aus einem unserer geschliffenen Cognacschwenker trinken, die wir zur Hochzeit geschenkt bekommen hatten. Als Oma Ann ihm sagte, er solle aufpassen, ihn nicht zu zerbrechen, blaffte er: »Das hier ist mein Haus, ich kann tun, was ich will!«
    Als Woody gezwungen wurde, an seinem wöchentlichen Musikunterricht teilzunehmen, schrie er Zeter und Mordio: »Ich hasse euch, ihr seid die blödeste Oma und der blödeste Opa von der Welt!«
    Wenn Opa ihn von der Schule abholte, wollte Woody, dass Oma es tat. Und wenn Oma auf ihn wartete, rief er nach Opa. Was er wirklich wollte, war natürlich seine Mutter. Nichts stimmte.
    Selbst Opa Dave, normalerweise immer locker und gelassen, wurde von Harvey und dessen Mätzchen an die Grenzen der Belastbarkeit getrieben. Eines Abends platzte ihm der Kragen, und er schickte Harvey auf sein Zimmer, der wütend die Treppe hinaufstampfte und brüllte: »Ich will, dass Mama nach Hause kommt!«
    Was sollte Dave sagen? Alle versuchten ihr Bestes. Ein anderes Mal saß meine Mutter auf dem Sofa und gab Woody die Liebkosungen, die er von mir vermisste, und sie spürte, wie er zitterte. Er weinte und fragte: »Sie kommt doch eines Tages zurück, oder?«
    Nana Jan fühlte sich wie eine Betrügerin, als sie antwortete: »Ja, aber jetzt noch nicht.« Sie ging davon aus, dass es, wenn überhaupt, noch lange dauern würde, bis ich wieder nach Hause kommen und Woody liebkosen konnte.
    Womit Marks Eltern überhaupt nicht zurechtkamen, war die Tatsache, dass sie nicht helfend eingreifen konnten. Mark war ihr einziger Sohn. Und sie waren es gewohnt, sich um ihn zu kümmern und bei allem sofort für ihn da zu sein. Ein kaputtes Spielzeug – Papa reparierte es. Ein aufgeschlagenes Knie – Mama küsste es wieder gesund. Verlorene Sachen – einer von beiden fand sie wieder. Sie waren Babysitter und Geldgeber, bedingungslos.
    Ich weiß noch: Als ich nach meiner Reise durch Australien nach Großbritannien zurückkam, wollte Mark mich in Heathrow abholen. Auf dem Weg zum Flughafen geriet er bei

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