Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So nah bei dir und doch so fern

So nah bei dir und doch so fern

Titel: So nah bei dir und doch so fern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Allatt
Vom Netzwerk:
überfrierender Nässe mit seinem Wagen ins Schleudern und baute einen Unfall. Ein Anruf beim Vater genügte, und schon war alles geregelt. Seine Eltern sorgten für einen Transport, der ihn zum Flughafen brachte, sodass wir früh genug nach Sheffield kamen, um am Nachmittag das Rugbyspiel anzusehen. Sie arrangierten alles, Mark brauchte sich keine Sorgen zu machen. Mama und Papa retteten den Tag. Doch jetzt konnten sie das, was um sie herum geschah, nicht in Ordnung bringen, und so fühlten sie sich wie Versager.
    India hatte ihre eigenen Schwierigkeiten. Als Älteste und einziges Mädchen glaubte sie, es sei ihre Aufgabe, in meine Rolle zu schlüpfen. Das hatte sie schon immer getan. Sobald Woody alt genug war, in seinem Gitterbett zu sitzen, hatte sich India zu seiner Ersatzmutter gemacht. Sie war gerade erst sechs Jahre alt, aber wenn ihr kleiner Bruder aufwachte, hob sie ihn aus seinem Bettchen, gab ihm seine warme Morgenmilch und setzte sich mit ihm vor den Fernseher, bis Mama aufwachte. Sie verhielt sich sehr viel praktischer und reifer, als es ihrem Alter entsprach.
    Jetzt war sie elf und glaubte, sie brauche niemanden mehr, der für sie sorgte, sie war überzeugt, alles selbst erledigen zu können. Sie machte Tee für ihre Brüder; sie stellte sicher, dass Harveys Fußballtrikot sauber war. Sie brachte Woody zu Fuß zu seiner Schwimmgruppe im Dorf. Es zeigte sich, dass sie sehr tüchtig und fürsorglich war und all diese Dinge im Griff hatte. Sie meinte, sie sei auch in der Lage, sich um ihren Vater zu kümmern, und Mark erkannte an, dass sie in diesen schwierigen Zeiten eine enorme Hilfe für ihn war, doch bestand er darauf, dass ein Erwachsener das Sagen hatte.
    Wenn der Druck auf India zu groß wurde, beklagte sie sich: »Alles muss ich machen!« Oft rief sie in Tränen aufgelöst bei Alison an, nachdem sie sich mit ihrer Oma gestritten hatte, und Mark hörte sie dann mit einer Stimme reden, die der ihrer Mutter sehr ähnlich war. Indias Gesundheit begann ebenfalls zu leiden. Sie klagte über Übelkeit und Bauchschmerzen, und mehrere Arztbesuche ergaben den Verdacht auf Reizdarmsyndrom, verursacht durch Stress.
    Obwohl Mark alles unternahm, um die Familie zusammenzuhalten, wurde er durch den ewigen Kampf, Arbeit, Krankenhaus und Haushalt unter einen Hut zu bringen, immer distanzierter, und die Belastung für alle wuchs. Schließlich schlugen seine Eltern vor, die Kinder für eine Woche aus dem Trubel herauszunehmen und ihnen eine kleine Pause zu gönnen. Als zeitweilig Pensionierte hatten sie sich ihren Lebensabend genau eingeteilt und genossen ihre Urlaube, seien es Kreuzfahrten oder Abstecher in ihr Time-Share-Appartement in Spanien. Sie hatten bereits zwei Kreuzfahrten gestrichen, da sie es nicht über sich brachten, Mark alleinzulassen, und jetzt beschlossen sie, in der Nähe von Scarborough für eine Woche einen Wohnwagen für fünf Personen zu mieten.
    Es wurde zur längsten Woche ihres Lebens, wie sie später zugaben. Die Kinder lebten sich nicht ein, sie wollten nach Hause. Sie langweilten sich, denn sie waren es gewöhnt, mit ihrer Mutter und ihrem Vater Spiele zu spielen, und mit ihren siebenundsechzig und neunundsechzig Jahren fehlte Marks Eltern die Energie, mit ihnen mitzuhalten.
    Sie versuchten auf ihre Art, mit der Situation fertig zu werden, doch es war hart. Sie wollten keinen weiteren Druck auf Mark ausüben, der sich in seine eigene Welt zurückzog. Hilflos schauten sie zu, wie er abmagerte, und ganz egal, was ihm seine Mutter zum Tee backte, er war immer zu angespannt oder erschöpft, es zu essen. Als Großeltern mussten sie erleben, wie die liebevolle, freundliche und sanftmütige Beziehung, die sie zu ihren Enkeln entwickelt hatten, langsam zerbrach.
    Die Kinder bemerkten es ebenfalls. Häufig fragten India oder Harvey: »Warum seufzt du denn, Oma?«
    Später verglich Marks Mutter die neun Monate meiner Abwesenheit mit einer Geburt. Während der Wehen sind die Schmerzen unerträglich, doch sobald man das Kind zum ersten Mal im Arm hält, vergisst man den Schmerz. Als ich heimkehrte, war der Schmerz ebenfalls vergessen.
    Rückblickend war die Reaktion der Kinder kaum verwunderlich. Sie waren jung, die Mutter war ihnen entrissen worden, und sie konnten nicht akzeptieren, was um sie herum geschah. Dennoch schmerzte es jene, die als Dank für ihren Einsatz nur Widerstand ernteten.

KAPITEL 21

Denen werde ich es zeigen!
    B ildete ich es mir nur ein oder hatte sich mein linker Daumen

Weitere Kostenlose Bücher