So nah bei dir und doch so fern
vielleicht etwas sagen wollten.
Außerdem unterzog ich mich einigen Schönheitstherapie-Behandlungen durch Marks Schwester Jo, deren Name ebenfalls auf meinem Terminkalender auftauchte. Marks Familie bezeichnete uns als »die Zwillinge«, da wir die Angewohnheit hatten, bei Familienfesten in genau derselben Kleidung aufzutauchen. Wir hatten immer schon eine fast physische Verbindung gehabt, und unsere Freundschaft datierte von den Rugby-Club-Tagen in Sheffield. Jo wusste, dass ich keine behaarten Beine und buschigen Augenbrauen mochte. Unglücklicherweise war die Reha-Abteilung kein Schönheitssalon, und Jo war klar, dass ich mich unter normalen Umständen geniert hätte, mich mit ein paar Tage alten Haarstoppeln auf den Beinen zu zeigen. Nach der ganzen Zeit auf der Intensivstation erinnerten meine Beine an das Fell eines Schäferhundes, und die Augenbrauen begannen denen von Noel Gallagher zu gleichen. Daher erschien Jo mit ihrem Schönheitsköfferchen voller Tricks, einem Wegwerfrasierer sowie Pinzetten und verhalf mir wieder zu Würde.
Während ich zuschaute, wie Jo meine behaarten Beine bearbeitete, berichtete sie von ihrem Leben: Vom neuen Haus, das sie und ihr Mann als Renovierungsfall gekauft hatten, und wie gut sich ihr ältester Sohn Henry in der Schule machte. Ich hatte schon immer ein Faible für Henry gehabt, der fünf Monate älter ist als India und aus Jos früherer Beziehung stammt.
Ich erinnerte mich an ein Gespräch, das wir ein paar Wochen vor meinem Schlaganfall geführt hatten. Es war spät nachts kurz nach Weihnachten, wir hatten bereits einige Gläser Rotwein getrunken und unterhielten uns über morbide Was-wäre-wenn-Fragen von Leben und Tod.
Angesichts dessen, was danach geschah, erscheint es ziemlich prophetisch, aber ich fragte sie, ob sie sich um meine Kinder kümmern würde, falls mir etwas zustoßen sollte. Natürlich versprach sie es. Im Gegenzug sagte ich zu, mich um ihre drei Kinder zu kümmern, falls ihr etwas zustoßen sollte. Jetzt fragte ich mich, ob Jo im Moment dasselbe dachte wie ich, dass es nämlich um ein Haar dazu gekommen wäre.
Das Thema Haarentfernung und Bemalen der Fußnägel erscheint unter diesen Umständen ziemlich trivial, doch dies waren, zusammen mit regelmäßiger Fuß- und Handmassage, alles kleine Freundschaftsbekundungen, von denen meine Besucherinnen wussten, dass sie sie leisten konnten, ohne im Weg zu stehen. Und es brachte uns einander näher, insbesondere im Fall meiner Halbschwester Abi.
Als Heranwachsende hatten wir wenig miteinander zu tun gehabt, denn ich war vierzehn Jahre älter und ein rebellischer Teenager, als sie geboren wurde, und als sie vier Jahre alt war, hatte ich mich nach Amerika aufgemacht. Jetzt lebte sie über sechzig Kilometer entfernt in Manchester, machte Karriere als Filmemacherin und arbeitete für ein Tagesprogramm von BBC .
Ein Mal pro Woche aber nahm sie sich die Zeit, vergaß ihren vollen Terminkalender und besuchte mich. Sie brachte eine Kollektion von Nagellacken mit und ließ mich wählen, in welcher Farbe sie meine Nägel anmalen sollte. Vielleicht erscheint das nur wie eine kleine Geste, doch mir verschaffte sie ein größeres Selbstwertgefühl. Während Abi meine Nägel bemalte, erzählte sie von den Dramen, die sich hinter den Kulissen bei den Dreharbeiten der Fernsehserie, für die sie arbeitete, abspielten. Das war eine willkommene Abwechslung zum Auf-die-Glotze-Starren.
Wenn meine Besucher gegangen waren und ich alleine war, hatte ich Zeit, mir Gedanken über ihr Leben und den Unterschied zu meiner therapiebestimmten Welt zu machen. Eine Sache, die keine meiner Freundinnen erwähnt hatte, war die Besteigung des Kilimandscharo, obwohl dies dasjenige gewesen war, worüber ich vor dem Schlaganfall unaufhörlich geredet hatte. Vielleicht waren sie nur höflich und wollten mich nicht noch an etwas anderes erinnern, das ich verloren hatte, doch ich hätte gerne gewusst, ob das Projekt fortgeführt wurde.
Im Januar hatten wir jeder unsere Anzahlung von 300 Pfund geleistet, und die letzte Rate von 1 600 Pfund war fällig. Eines Abends im Juni saßen Anita, Jaqui und ich bei untergehender Sonne im Garten, als ich auf die Kommunikationstafel starrte, die Anita an ihren Stuhl gelehnt hatte.
Ich blinzelte: » TUT MIR LEID WEGEN KILI .«
Damit hatte ich das schmerzende Thema zum Diskussionsgegenstand gemacht. Jaqui gestand, dass ich der Grund gewesen war, weshalb sie die Reise unternehmen wollte, und ohne mich gebe es
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