So nah bei dir und doch so fern
die Zeit, mich durch die Papierberge durchzukämpfen, indem ich alles auf einen Haufen legte, was abgeheftet werden musste. Der Rest kam auf einen anderen Stapel, damit Jessie ihn entsorgen konnte. Papier und kaputtes Spielzeug wanderten in die Mülltonne. Das war meine Art, unserem Haus wieder meinen Stempel aufzudrücken.
Es dauerte nicht lange, bis die Kinder wieder ganz die alten waren und schimpften, sich rauften und Wutanfälle bekamen. Woody war schon immer der größte Übeltäter gewesen. Als Nesthäkchen hatte ihm die ganze Aufmerksamkeit gegolten; er wurde von allen verwöhnt und mochte es viel weniger als seine älteren Geschwister, wenn ihm gesagt wurde, was er tun sollte. Seine Wutanfälle waren zwar lästig, wurden aber nie zu einem echten Problem. Als ich noch eine laute Stimme hatte, konnte ich brüllen und mit dem Fuß aufstampfen, doch jetzt war ich physisch einfach nicht in der Lage, meine Stimme zu heben.
Wenn Mark da war, schritt er ein, war ich aber alleine mit Woody, konnte ich ihm nur leise gut zureden oder ihn in Ruhe lassen, bis er seine schlechte Laune von selbst ablegte. Meistens wurstelten wir uns irgendwie durch, und er wusste meist, wie weit er gehen durfte. Eines Abends aber flippte er dermaßen aus, dass ich Alison anrufen musste, um mir zu helfen. Woody war mitten in einem Computerspiel, als ich ihm sagte, er solle ins Bett gehen. Da brannte bei ihm eine Sicherung durch, und er begann zu schreien und zu toben. Schließlich stürmte er in sein Zimmer, wo vor lauter Wut mit Sachen um sich schmiss.
Mark war nicht zu Hause, und ich war machtlos, ihn zur Räson zu bringen. So rief ich Alison an und bat sie: »Bitte, komm und hilf mir, ich werde mit Woody nicht mehr fertig.«
Als sie die Verzweiflung in meiner Stimme hörte, war sie im Nu bei uns und stauchte Woody zurecht. Er hörte auf, sein Zimmer zu verwüsten, und sammelte widerwillig seine Spielsachen wieder auf. Er hatte seine Lektion gelernt: Treib es nicht zu weit bei Mama, sie hat Verbündete!
KAPITEL 39
Ich werde wieder laufen
N achdem ich nach Hause gekommen war, konnte ich endlich mit dem regelmäßigen Training im Fitnessstudio beginnen, was ich mir in den letzten Wochen meines Krankenhausaufenthalts fest vorgenommen hatte. Mir und meinem Trainer Michael hatte ich zum Ziel gesetzt, bis Weihnachten wieder zu laufen.
Anfangs war Michael skeptisch. Ich saß mit weichen, wackeligen Beinen im Rollstuhl und besaß gerade genügend Kraft, mein eigenes Gewicht zu tragen. Ich bin ziemlich sicher, dass er gedacht hat, es müsste schon ein Wunder geschehen, wenn wir mein Ziel erreichen wollten. Falls ihm solche Gedanken durch den Kopf gegangen sein sollten, so hat er sie nie geäußert. Seine positive Einstellung war genau das, was ich brauchte. Nach Wochen der Ängstlichkeit von Seiten der Therapeuten im Krankenhaus traf ich hier endlich jemanden, der bereit war, mein Tempo mitzugehen.
Nach meiner Entlassung aus dem Krankenhaus gab es nur acht Wochen offizielle Therapie für mich. Die Physiotherapeuten der Gemeinde besuchten mich ein Mal pro Woche zu Hause und stellten mir die Aufgabe, die ersten paar Treppenstufen hinaufzugehen, was in meinen Augen ziemlich albern war, weshalb ich auf mein eigenes Trainingsprogramm setzen und mich härter rannehmen musste.
An fünf Tagen in der Woche erschien ein Taxi vor unserer Tür und fuhr mich die zehn Minuten zum Freizeitzentrum, wo Michael bereits auf mich wartete und mich durch das Gedränge in das Fitnessstudio schob. Es war groß, mit dumpf klingenden Tanzmusik-Rhythmen im Hintergrund, während die Mitglieder auf den Laufbändern ächzten und Hanteln stemmten. Ich war selbst acht Jahre lang Mitglied des Freizeitzentrums gewesen und hatte jede Woche Stunden damit verbracht, auf dem Crosstrainer und dem Fahrrad zu schwitzen.
Ich spürte die Blicke der anderen Studiogäste, als Michael mich zur Beinpresse schob. Die Leute müssen sich gefragt haben, wie jemand, der noch nicht mal richtig laufen konnte, Gewichte wuchten wollte. Ich hätte vielleicht verlegen sein sollen, doch das konnte ich mir nicht leisten, denn ich musste mich auf den Weg konzentrieren, der noch vor mir lag.
Am Anfang machte Michael mit mir sehr einfache Übungen, um meine Beinmuskulatur zu stärken. Er half mir aus dem Rollstuhl auf ein Gerät, bei dem ich Kniebeugen im Liegen üben sollte. Ich lag mit angewinkelten Knien auf dem Rücken, die Füße gegen eine Platte gepresst, und musste die Beine und die Knie
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