So nah bei dir und doch so fern
in Harveys Zimmer. Das Badezimmer war immer noch eine Baustelle. Ich hatte gelernt, nach 19.30 Uhr nichts mehr zu trinken, damit ich nicht mitten in der Nacht aufstehen und auf die Toilette gehen musste, was immer die Gefahr in sich barg, über irgendein Rohr zu stolpern.
Ich schlief wie ein Brett, um 2 und 6 Uhr aber wachte ich auf. Meine innere Uhr hatte sich darauf eingestellt, weil mir im Krankenhaus um diese Zeit meine Medikamente verabreicht wurden, und es dauerte eine ganze Weile, bis ich mich wieder umstellte. Schwägerin und Schwager, die unten auf den Sofas schliefen, verbrachten ebenfalls eine unruhige Nacht, da sie Angst hatten, ich könne vielleicht fallen, wenn ich aufzustehen versuchte.
Am nächsten Tag kam Mark aus Deutschland zurück, und wir versuchten, wieder zu unserem Leben als Familie zurückzukehren. Mark war nicht wiederzuerkennen. Nachdem ich all die Jahre gemotzt hatte, er solle sich auch mal im Haus nützlich machen, tat er es jetzt ganz von selbst. Er packte seinen Koffer aus und steckte die schmutzigen Sachen in die Waschmaschine. Er bügelte sogar und räumte das Geschirr in die Spülmaschine. Er war sehr viel rücksichtsvoller und besorgter als der Mark, den ich »verlassen« hatte.
»Da hat mein Schlaganfall doch wenigstens eine positive Wirkung gehabt«, neckte ich ihn.
Allerdings verlor Marks Rolle als Hausmann sehr schnell seinen Neuheitsfaktor, als meine Ansprüche mehr und mehr zur Routine wurden. Wenn ich einmal saß, kam ich nur unter Schwierigkeiten wieder auf die Beine und forderte deshalb ihn oder die Kinder auf, mir die Fernbedienung zu geben oder meinen Laptop zu holen. Meine Ungeduld wuchs beständig. Als ich noch fit gewesen war, hatte ich die Dinge selbst erledigt, und zwar schnell. Von anderen abhängig zu sein bedeutete, dauernd warten zu müssen, und ich hasste warten. Das führte zu vielen Auseinandersetzungen und Diskussionen.
Dass ich jetzt zu Hause war, stresste Mark mehr als meine Abwesenheit, weil er ständig befürchtete, ich könne stürzen oder einen Unfall in der Küche haben, wenn ich irgendetwas tat, was ich nicht tun sollte. Zwar ist nie etwas passiert, aber seine Angst blieb. Er war in ständiger Sorge, er könne mitten am Tag einen Notruf erhalten, weil ich gefallen war oder mich am Herd verbrannt hatte.
Für die Kinder war es ebenfalls ungewohnt, dass ihre Mutter wieder Teil ihres Lebens war. Verständlicherweise wollten sie sich an mich schmiegen, doch ich empfand es so, als ersticke ich unter ihrer Liebe, und ihre Umarmungen erschöpften mich. Ich begann, mich auch über kleine Dinge aufzuregen, die sie taten, ohne es selbst zu merken. Ich hatte einen Lieblingsplatz, an dem ich gerne saß: ein Stuhl an der Ecke unseres Küchentresens. Wenn eines der Kinder diesen Stuhl weggerückt hatte, brannte meine Sicherung durch. Ich weiß, das war irrational, aber mein an Gewohnheiten geketteter Geist konnte nicht anders.
Als ich mich in meiner eigenen Umgebung schließlich nach und nach entspannte, nutzte ich die Zeit, wenn ich alleine war, für Übungen, wie zum Beispiel bis zur Insel in der Mitte unserer Küche geradeaus zu gehen oder sie zu umkreisen. In gleichem Maße wie ich meine innere Balance wiederfand, wurden mir auch die Kinder wieder vertrauter, und sie schliefen abwechselnd bei mir, wenn Mark nicht da war. Das führte allerdings wieder zu Kämpfen, wenn es darum ging, wer den Platz neben mir im Bett einnehmen durfte.
Die Unordnung gehörte ebenfalls zu den Dingen, die mich furchtbar aufregten, als ich wieder zu Hause einzog. Eines Nachmittags, als ich zwischen Jessies Schichten alleine war, schaute ich mich im Haus um, ließ meinen Blick über Berge von Papieren auf den Tischen wandern, über die mit Spielzeug übersäten Fußböden und dachte: Die reinste Müllhalde!
Jessie hatte sich bemüht, alle Oberflächen sauber und staubfrei zu halten, doch während der acht Monate meiner Abwesenheit war niemand dazu gekommen, Papierkram zu erledigen. Es reichte. Ich musste ausmisten. Da gab es Mahnungen von Woodys Schwimmgruppe, endlich den Mitgliedsbeitrag zu zahlen, Rechnungen, die man mir zum Aussortieren überlassen hatte, und selbst Woodys Legosteine, die schon in der Wohnzimmerecke gelegen hatten, als mich der Schlaganfall heimsuchte, befanden sich noch dort und setzten Staub an. Während meiner Abwesenheit war Mark so damit beschäftigt gewesen, mit der Situation zurechtzukommen, dass er gewisse Dinge schleifen lassen musste.
Ich nahm mir
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