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So nicht, Europa!

Titel: So nicht, Europa! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Bittner
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juristischen
     Monstrum Brüssel zu schließen. Saakaschwili pflanzte das Sternenbanner bestimmt nicht neben sich auf, weil er wild darauf
     wäre, den Lissabon-Vertrag zu unterschreiben. Für Russlands Ex-Vasallen ist die EU einstweilen vor allem eine Projektionsfläche.
     Sie steht für Freiheit, Wohlstand und Selbstbehauptung. Viele Politiker schwärmen nicht wegen, sondern trotz ihres Institutionenuniversums
     von der Europäischen Union. Der staubige Kosmos Brüssel besitzt nicht die Strahlkraft Amerikas. Aber er liegt nun einmal vor
     der Haustür.
     
    Auch in einem großen Staat nördlich von Georgien weht die E U-Flagge . Genau genommen ist es ein riesiges Banner, das sich an der Fassade des Auswärtigen Amtes von Kiew im Wind wellt. Von seinem
     Büro aus kann Grigorij Nemyria den blauen Stoff sehen. Der ehemalige Vizepremierminister der Ukraine nimmt sich die Zeit,
     dem Besucher die Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt zu erläutern. Aus dem Fenster weist er über die Dächer der Innenstadt hinweg.
     In ihrer Mitte funkeln die vergoldeten Kuppeltürmeder Klosterkirche St. Michael. Vor ein paar Jahren erst haben die Ukrainer die orthodoxe Kathedrale wieder aufgebaut. »Die
     Bolschewisten haben sie in den 30er-Jahren abgerissen«, berichtet Nemyria. »An ihre Stelle wollten sie eine riesige Stalinfigur
     setzen. Sie sollte weit über das Dnjeprtal blicken.« Aus der gigantomanischen Idee wurde nichts. Was blieb, war das erste
     Segment eines gewaltigen Rundbaus, der den Stalinplatz umschließen sollte. Es beherbergt heute das Außenministerium der jungen
     Republik. Grigorij Nemyria ist ein leiser, nachdenklicher Mann. Er lehrte Geschichte, bevor er in die Politik ging, und neigt
     nicht zu starken Parolen. Aber vielleicht genau wegen seiner akademischen Prägung, wegen Mustern, die er im Jetzt erkennt,
     köchelt es unter seiner professoralen Oberfläche. »Die Lehren aus dem Georgienkrieg lauten: Grauzonen sind gefährlich«, sagt
     er ruhig und eindringlich. »Das Sicherheitsvakuum hat sich ausgedehnt. Die Ukraine befindet sich in diesem Vakuum.« Sein Land,
     sagt er, dürfe auf keinen Fall ein Niemandsland zwischen Russland und Europa bleiben. Es brauche schnellstens eine klare Westbindung.
     Am besten durch eine Sicherheitsgarantie der Europäischen Union. Letztlich, prophezeit Nemyria, sei es auch in Europas Interesse,
     seinen Schutzschirm weiter nach Osten auszubreiten. »Die EU hat ihre Peripherie nicht ernst genug genommen«, sagt Nemyria
     und beugt sich auf seinem Stuhl nach vorne. »Die europäischen Führer glaubten, sie könnten mit diesen gefrorenen Konflikten
     und Grauzonen endlos lange und bequem leben. Sie dachten, sie könnten die Angelegenheit in den politischen Kühlschrank legen.
     Das Problem ist aber: Regionale Konflikte können sich, wenn die USA durch irgendeine Präsenz involviert sind, zu großflächigen,
     wenn nicht gar globalen Konflikten auswachsen.« Die Ukraine, will er damit sagen, könnte das nächste Georgien werden.
    Anlass zu dieser Sorge ist ein gefrorener Konflikt an der Südflanke seines Landes. Die Halbinsel Krim gilt seit dem Zusammenbruch
     der Sowjetunion als ein potenzieller Krisenherd. Im Hafen von Sewastopol ist die russische Schwarzmeerflotte stationiert.
     Laut eines Stationierungsabkommens mit der Ukraine werden Moskaus Schiffe noch bis 2042 dort vertäut bleiben, was viele Ukrainer
     aufbringt. Drei Viertel der Einwohner der Stadt sind ethnische Russen, und ihr Lebensunterhalt hängt an der Marine. Außerdem
     leben dort etwa 300.000   Krimtataren, ein muslimisches Turkvolk, das während des Zweiten Weltkrieges vertrieben wurdeund nun auf die Halbinsel zurückkehrt. Sollte Moskau erneut einen Grund suchen, seine Landsleute »beschützen« zu müssen, auf
     der Krim wäre ein Interventionsvorwand schnell gefunden.
    Das Stationierungsabkommen hat zudem Lücken, wie sich während des Georgienkonflikts zeigte. Russische Kriegsschiffe liefen
     von Sewastopol an die Küsten der Konfliktregion aus. In der Kiewer Regierungszentrale war man entsetzt, denn es stand zu befürchten,
     dass die Ukraine zum Brückenkopf für die Aggression eines anderen Landes werden würde. Was hätte das für die Ukraine bedeutet?
     Wäre sie völkerrechtlich plötzlich zur Kriegspartei geworden? Und welche Folgen hätte dies für die angrenzende Europäische
     Union gehabt? In Verlängerung des Kaukasus und Sibiriens ist die Ukraine schließlich ein wichtiger Energiekorridor für

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