So nicht, Europa!
Ex-Sowjetstaaten Armenien, Aserbaidschan und Weißrussland.
»Was wir tun können«, sagte Ende 2009 die scheidende Außenkommissarin der EU, Benita Ferrero-Waldner, »ist, den Wohlstand
in diesen Ländern zu erhöhen. Das heißt einerseits, neue Märkte zu erschließen. Andererseits bedeutet es aber auch, die EU
für Exporte aus diesen Ländern zu öffnen.« Die ukrainische Wirtschaft ist 2007 immerhin um knapp sieben Prozent gewachsen.
Der zweitwichtigste Exportpartner des Landes ist Deutschland, die Wachstumsraten betragen hier rund 30 Prozent pro Jahr. Hinter dieser Öffnung steckt die Philosophie vom Handel als völkerverbindendem Friedensbringer. »Erhöhter
Wohlstand«, sagte Ferrero-Waldner, »macht Krieg unwahrscheinlich.«
Westlich gesinnten Köpfen in der Ukraine reicht das alles nicht aus. Grigorij Nemyria hält die Nachbarschaftspolitik der EU
schlicht für gescheitert. Er will, dass sich Europa dem harten Thema Sicherheit auch auf harte Weise annimmt. Warum, fragt
der Ex-Vizeregierungschef, könne statt der Nato nicht die ideologisch unverdächtige EU für die Sicherheit ihrer Nachbarn einstehen?
»Wir denken, dass die Ukraine in hohem Maße in die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) hineinpasst«,
sagt er. »Wir halten die ESVP für eine der, wenn Sie so wollen, strategischen Autobahnen in Richtung europäischer Integration.«
Die Schlussfolgerung aus dem Georgienkonflikt laute schließlich, dass es gemeinsame Bedrohungen gäbe – und niemand isoliert
sein dürfe.
Ein Beitritt zur Nato, der die Lagerunklarheit beenden würde, kommt für die Ukraine wie für andere Ex-Sowjetstaaten in absehbarer
Zeit nicht infrage. Zum einen ist das Militärbündnis für einen großen Teil der dortigen Bevölkerungen noch immer mit einem
grundsätzlichen feindlichen Blickwinkel gen Osten belastet. Bis heute fühlt sich eine Mehrheit der Bevölkerung östlich des
Dnjepr kulturell Russland zugehörig. Die Menschen im Osten der Ukraine (der Landesname heißt übersetzt »Grenzland«) sprechen
Russisch, und die Erinnerung an Sowjetzeiten ist bisweilenwehmütig. Zum anderen würde es Russland als einen Angriff auf seine Sicherheitssphäre werten, wenn sich die Allianz bis vor
die Stadtmauern von St. Petersburg und Rostow am Don ausbreitete.
Einige osteuropäische E U-Staaten , vor allem Polen und Tschechien, würden die Nachbarschaftspolitik gerne zu einer Art Beistandsgarantie aufwerten – als Vorform
zu einer E U-Vollmitglied schaft . Doch westlich von Warschau, in den tonangebenden alten Mitgliedstaaten, denkt derzeit niemand ernstlich über militärische
Solidarität oder Neumitgliedschaften im Osten nach.
Die Erweiterung der EU wird in Brüssel als streng reserviertes Privileg für wenige Auserwählte behandelt. In der Warteschlange
für die Mitgliedschaft standen Anfang 2010 fünf Länder: Kroatien, Mazedonien, Serbien, Island und die Türkei. Was die Türkei
betrifft, so stehen die Zeichen mittlerweile wieder auf Entfremdung. Zwar gab es schon 1963 das erste Assoziierungsabkommen
mit Ankara, 1996 erste Beitrittszusagen, eine Zollunion, die Ausdehnung des europäischen Wirtschaftsrechts und, seit 2005,
formale Beitrittsverhandlungen. Doch nicht zuletzt Deutschland und Frankreich pochen auf die Beseitigung der zum Teil noch
immer gravierenden Defizite bei der Achtung der Menschenrechte und des Minderheitenschutzes bevor die Annährung weitergehen
kann. Die jährlichen Fortschrittsberichte, die die Kommission für den Beitrittskandidaten Türkei erstellt, sind recht eigentlich
Rückschrittsberichte. Seit 2006 fallen sie regelmäßig frustrierend aus. Ob bei der Abschaffung der Folter, der politischen
Kontrolle über die Armee oder bei der Meinungsfreiheit, die Mängel sind so schwer, dass die EU sich gezwungen sah, sogar die
schon erreichte Zollunion zu suspendieren.
Seit 2005 verhandelt die EU mit der Türkei über einen Beitritt. Immer wieder ruft die E U-Kommission die Regierung in Ankara auf, mit voller Kraft an die Modernisierung des Landes zu gehen. Doch weil die politischen Fortschritte
ausblieben, beschlossen die E U-Regierungen Ende 2006, vorerst keine Verhandlungen mehr über die zentralen Bereiche Zollunion, die Außenbeziehungen, den freien Güter-
und Dienstleistungsverkehr und die Landwirtschaft zu führen. Seither nähern sich die EU und die Türkei zwar formal weiter
an. Aber beide Seiten wissen auch, dass die
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