So nicht, Europa!
kommunistischen Gewalt- und Zwangsherrschaft den Anschluss an eine politische Moderne zu finden,
die den Mut zur Demokratie als konstitutives Element aufweist. Die Herrschaft geht in Moskau eben noch immer nicht vom Volke
aus, sondern von oben, von den Kremlherrschern. Sie gewähren Demokratie nur »gelenkt«, also in solchen Dosen, die ihrer Macht
nicht gefährlich werden.
Wenige Jahre nach der Orangen Revolution drängt sich dem, der an der U-Bahnstation des Kiewer Maidan Nezalezhnosti aussteigt, die scheinbare Richtigkeit dieser These geradezu auf. Die europäisierende Kraft
der privaten Verantwortung und Initiative, scheint es, zeigt sich hier an jeder Straßenecke. In der Innenstadt funkeln nicht
nur wieder die goldenen Kuppeln der orthodoxen Kirchen, die die Ukrainer nach der antireligiösen Sowjetzeit zurück in ihre
alte Pracht versetzt haben. Es glitzern auch die Auslagen und Leuchtreklamen der großen westlichen Handelsketten. Zara ist
da, Chanel, Heiniken, Guinness, Mercedes Benz, Porsche und BMW. An der repräsentativen Stirnseite des Unabhängigkeitsplatzes prangt, fast als hätten die Stadtplaner der Wende dasKlischee inszenieren wollen, McDonald’s gelber Doppelbogen. Die Insignien von Freiheit und Marktwirtschaft haben sich ganz
selbstverständlich über Kiew ausgebreitet.
Doch zur Tragik des kulturellen Brückenlandes Ukraine gehört auch die Tatsache, dass sich ein paar seiner Stützpfeiler verzogen
haben während der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres. Wer hinter ihre Fassaden tritt, merkt schnell, dass die Hauptstadt
Kiew noch längst nicht wieder eine europäische Metropole ist – sondern bloß ein Potemkinsches Dorf des Westens. In den Wohnsilos
am Rande der Stadt leben die Menschen in schlimmster postsowjetischer Tristesse. Apathische Hausmeister wachen über schachtartige
Hochhauseingänge, und vor den Türen lassen arbeitslose Jugendliche die Wodkaflaschen kreisen. Der Schatten der Sowjetzeit
ist lang, länger vielleicht, als die Optimisten glauben. Ein halbes Jahrhundert kommunistischer Totalitarismus hatte eben
nicht nur zur Folge, dass Osteuropa erstarrte, während der Westen zum Wirtschaftswunderparadies erblühte; die Entwicklung
verlief dort in genau die entgegengesetzte Richtung. Westeuropa erhielt ab 1948 aus dem Marshallplan Kredite, Rohstoffe, Maschinen
und Lebensmittel im Wert von fast 14 Milliarden Dollar (nach heutigem Wert 80 Milliarden Euro). Stalin dagegen verbot den kommunistischen »Brüderländern« nicht nur die Teilnahme an dem Wiederaufbauprogramm,
er presste im Gegenteil eine vergleichbare Summe an Reparationen und Zwangsabgaben aus ihnen heraus. Das Erbe dieser Verheerungen
wiegt, allen älteren westlichen Wurzeln zum Trotz, schwer.
Ein halbes Jahrzehnt nach dem Umsturz auf dem Maidan Nezalezhnosti haben viele, gerade junge Menschen das Vertrauen auf einen
echten Wandel, das sie der Führung nach der Orangen Revolution entgegengebracht hatten, verloren. Das vermeintliche Dreamteam
Viktor Juschtschenko und Julia Timoschenko bewies alles andere als verantwortungsvolle, konstruktive Eintracht. Über der Frage,
wie viel Macht Präsident, Ministerpräsidentin und Parlament einander zugestehen sollten, zerbrach die Allianz der Revolutionäre,
und die anhaltende Korruption im Staatswesen geht einher mit einer bizarr ausgeprägten Macht der Oligarchen. »Gemessen an
europäischen Regierungsstandards, ähnelt die Ukraine eher Pakistan als Polen«, stellt der reisende U S-Gelehrte Parag Khanna fest. 8 Auch Benita Ferrero-Waldner glaubt, es könne »Generationen dauern«, bis in der Ukraine ein akzeptables Maßan Rechtsstaatlichkeit und Transparenz hergestellt sei. Schwarze Humvees mit ihren verspiegelten Fenstern, die über die Kiewer
Boulevards rollen, sind die sichtbarsten Symbole für eine Kaste von mafiotischen Vulgär-Kapitalisten, die sich nach der Wende
herausgebildet hat.
Anfang 2010 häuften sich in der Ukraine die Stimmen, die nach einem Ende des »orangen Albtraums« riefen. Und die Revolution
spuckte einen, den sie 2004 gefressen hatte, wieder aus. Mit dem Versprechen, für Ordnung im Staate zu sorgen, gelang dem
einstigen Wahlbetrüger Viktor Janukowitsch ein Comeback. In einer knappen Stichwahl drängte er im Februar 2010 Julia Timoschenko aus dem Amt. Diesmal erkannten die Wahlbeobachter der EU und der OSZE das Ergebnis ohne jeden Zweifel an.
Zwar will auch der neue »Leader«, wie
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