So nicht, Europa!
Lösung, Griechenland bilaterale Kredite zu gewähren, um es vor der
Zahlungsunfähigkeit zu bewahren. Sie verbanden die Zusage mit einem großen »Ja, aber«. Alles, was in den kommenden Wochen
passiere, darauf pochten die Deutschen, müsse als gewaltige Ausnahme und ultima ratio betrachtet werden. Dazu gehörte das
Versprechen Berlins, knapp 30 Prozent des Rettungspaketes für Griechenland zu übernehmen. Wenige Tage später setzten die Märkte und Rating-Agenturen zum
Todesstoß gegen Griechenland an. Investoren zogen Milliarden von Euros aus dem Land ab, die Agentur Moody’s stufte die Kreditwürdigkeit
griechischer Bankenweiter herab, und die Zinsen für 1 0-Jahres -Anleihen schossen auf astronomische Höhen. Am 8. April riet die Rating-Agentur Fitch dem Premier Papandreou, unverzüglich um internationale Hilfe zu bitten. Er griff zum Telefonhörer
– und löste Panik bei seinen Kollegen aus. Zwischen dem 8. und 10. April 2010, schilderte der luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker die Stimmung in Europas Staatskanzleien, »rief
jeder jeden an«. 52
Was sich am Ende einer Reihe von hektischen Konsultationen und Videokonferenzen durchsetzte, war, wie es ein Teilnehmer der
Verhandlungen ausdrückte, der »Urimpuls, zu helfen«. Ende April einigten sich die Euro-Staaten auf konkrete Summen. Gemeinsam
mit dem Internationalen Währungsfonds würden sie den Griechen in den kommenden drei Jahren 110 Milliarden Euro Kredithilfe zur Verfügung zu stellen. Deutschland verpflichtete sich, bis 22,4 Milliarden beizutragen. Griechenland verpflichtete sich im Gegenzug alles zu tun, um im selben Zeitraum 24 Milliarden Euro einzusparen und das Haushaltsdefizit bis 2014 auf 3 Prozent zurückzufahren. Am liebsten sei ihnen, gaben die Staatschefs in einem Communiqué zu verstehen, wenn die griechische
Wirtschaft ihre »steuerlichen und strukturellen Herausforderungen bewältigen würde« und der Abruf des Geldes nicht nötig wäre.
Was die EU damit mehrheitlich beschloss, war nichts anderes als die Bereitschaft, das Bail-Out-Verbot des Artikels 125 zu
umgehen. Von einer vorherigen Änderung des E U-Vertrags war keine Rede mehr. Um die Geschäftsgrundlage der Währungsunion zu ändern, blieb einfach keine Zeit. Denn die griechische
Tragödie entpuppte sich nur als Vorspiel für ein größeres Drama.
Im Mai 2010 nahm die Angst vor einem Crash des Euros solche Ausmaße an, dass die Staatschefs regelrecht rennen mussten, um
einen Flächenbrand einzudämmen. Am Freitag, den 7. Mai, kamen sie in Brüssel eilends zu einem Sondergipfel zusammen. Herman Van Rompuy hatte die 16 Regierungen zusammengetrommelt, nachdem der spanische Ministerpräsident ihn in einem Telefonat gedrängt hatte, die EU müsse
den Finanzmärkten signalisieren, dass sie auch andere strauchelnde Euro-Länder, allen voran Spanien und Portugal, stützen
würde, sollten sie in Schieflage geraten. Anders sei eine Ausbreitung der Krise weit über Griechenland hinaus nicht mehr zu
verhindern. 53 Die Staatschefs wussten es noch nicht, als sie nach Brüssel reisten, aber am Ende dieses Wochenendes sollte ein anderes Europa
stehen. Eines, in dem nicht mehrjeder Staat mit seinen Finanzen für sich allein steht, sondern eines, in dem die Reichen für die Armen bürgen. Der Brüsseler
Publizist Peter Ludlow hat das Treffen vom 7. bis 9. Mai akribisch rekonstruiert. 54 Während den Regierungschefs im Brüsseler Ratsgebäude nach ihrer Ankunft das Abendessen serviert wurde, konfrontierte laut
seiner Darstellung der Präsident der Europäischen Zentralbank, der Franzose Jean-Claude Trichet, die Runde mit einer Reihe
schockierender Datenkurven. Sie zeigten die Finanzmarktentwicklungen der vergangenen Tage. Die Wetterlage, warnte Trichet,
ähnle der vor dem Kollaps der Lehman-Bank 2008. Das Misstrauen gehe so weit, dass einige Banken untereinander kein Geld mehr liehen. Europa müsse sofort handeln. Als der
zypriotische Präsident fragte, ob nicht wenigstens ein paar Tage Zeit zum Nachdenken bliebe, soll Angela Merkel geantwortet
haben: »Wir haben keine paar Tage mehr. Wir müssen zeigen, was wir vorhaben, bevor am Montag die Märkte öffnen.« Frankreichs
Nicolas Sarkozy wurde gar melodramatisch. Die EU könne auseinanderfliegen, es sei »ein Wochenende des Schicksals«. Noch vor
dem Dessert war allen Anwesenden klar, dass die Krise den Euro an seinen Fundamenten erschütterte.
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