So nicht, Europa!
Abchasien von 7600 russischen
Soldaten überflutet wurden, dass ethnische Säuberungen ungesühnt blieben und dass die E U-Beobachter sich auf das Territorium des so genannten Kern-Georgien beschränken mussten. Und doch. Mit wehender Europaflagge hatte Sarkozy
es fertiggebracht, innerhalb kürzester Zeit die Waffen zum Schweigen zu bringen.
Im Gegensatz zu anderen Mächten nahmen die Konfliktparteien Europa als halbwegs unparteiisch wahr und ließen sich auf Gesprächeein. Die Vereinigten Staaten hingegen waren von Anfang an wie eine pro-georgische Schutzmacht aufgetreten und hatten sich
alsbald unglaubwürdig gemacht. Auch die Nato polterte vorschnell und überlaut gegen Moskau, setzte den Nato-Russland-Rat aus
(ein eigentlich gerade auch für Krisensituationen gedachtes Gremium) und verfiel in Empörungsstarre.
Brüssel-Europa wuchs in diesen Tagen. Zum ersten Mal überhaupt mischte sich die EU in einen Krieg ein, in einen Konflikt,
der dynamisch und dessen Ausgang völlig offen war. Der Kaukasuseinsatz war eine mutigere Mission als die im Kosovo oder im
Kongo. Und er markierte eine neue, ungewohnt schnelle Frontaldiplomatie. Sarkozy kam, verhandelte und siegte. Als Vertreter
Europas wagte er Dinge auszusprechen, die die Russen in diesem Moment wohl von keiner anderen Macht der Erde akzeptiert hätten.
Das herbstliche Resümee der Georgienkrise lautete deshalb, dass sich das Solidaritäts- und Sicherheitsversprechen des Westens
nach Osten verschoben hatte. Weg von der Nato, hin zur EU. Der Westen erschien nicht mehr Washington-zentrisch, sondern Brüssel-zentrisch. Dass Europa eine klügere Russlandpolitik betrieb,
wer wollte das bestreiten? Für ein paar Wochen im Sommer 2008 jedenfalls war genau das der Eindruck.
Doch den richtigen Mann im richtigen Moment im Flugzeug gehabt zu haben, war kein politisches oder gar institutionelles Verdienst
der Europäischen Union. Es war schlicht Glück. Wäre der Georgien-Krieg während einer tschechischen oder baltischen E U-Ratspräsidentschaft ausgebrochen, die Kremlherrscher hätten deren Vertreter vermutlich nicht einmal ins Wartezimmer vorgelassen. Und welche Wirkung
hätten die neuen Lissabon-Häuptlinge Herman Van Rompuy oder Catherine Ashton auf die Putin-Garde gehabt, wären sie schon im
Amt gewesen? Allenfalls eine homöopathische, darf man annehmen. Die beiden verfügen weder über die Aura von Weltmachtvertretern
noch über den diplomatischen Apparat eines U N-Sicherheitsratsmitgliedes , die der französische Präsident mitbrachte.
Der deutsche CD U-Europapolitiker Elmar Brok, einer der kraftvollsten Kämpfer für den Lissabon-Vertrag, wurde, nachdem sich der kaukasische Pulverdampf verzogen
hatte, nachdenklich: »Un ter Lissabon werden weder Angela Merkel noch Nicolas Sarkozyjemals wieder Ratspräsidenten werden.« Denn laut Vertrag kann der Posten nur an Nicht-Regierungschefs vergeben werden. Daniel
Cohn-Bendit, der genauso lange wie Brok, bloß von links, den Traum von einer dauerhaft starken EU träumt, bilanzierte: »Wir
schaffen es einfach nicht, das Bild Europas als stabilisierenden Faktor in einer multipolaren Welt deutlich zu machen.«
Im Spezialfall Russland hat dies mit einer tieferen Befindlichkeit Europas zu tun. Seit 2004 gehören die osteuropäischen Neumitglieder
der EU an. Gleichwohl hat die Europäische Union bis heute keinen echten strategischen Dialog über ihre Russlandpolitik geführt.
Mit pompösem Brimborium ließ Nicolas Sarkozy zwei Monate vor dem Ausbruch des Kaukasus-Konflikts die Eröffnung einer Mittelmeerunion
feiern, die die EU nach Süden öffnen soll. Über ihr Verhältnis zu Russland aber schweigt sich die Union auch zwei Jahre nach
dem Sommerkrieg 2008 aus.
Viele Osteuropäer ziehen daraus ihre eigenen Schlüsse. So setzen die Polen lieber auf amerikanische Pläne für eine Raketenabwehr,
die Barack Obama in modizifierter Weise weiterverfolgen will, denn von ihr erhoffen sie sich privilegierte U S-Sicherheits garantien . »Die Wahrheit ist«, sagt Elmar Brok, »wir haben die Teilung zwischen Old und New Europe noch nicht überwunden.« Einen strategischen
Konsens über die europäische Außenpolitik, der an Sarkozys Erfolge anknüpfen könnte, hat die Georgienkrise also mitnichten
hervorgebracht.
Wie könnte eine solche Politik aussehen? Russland, so viel lässt sich sagen, fühlt sich als europäisches Land. »Es gibt keinen
neuen Kalten Krieg«, stellte der
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