So nicht, Europa!
wäre, wenn man so möchte, die stahlgewordene Unabhängigkeitserklärung
Europas vom Staatsmonopolkapitalismus des Kreml. Die EU rechnet aufgrund des Verbrauchsanstiegs damit, dass sie im Jahr 2010 620 Milliarden Kubikmeter brauchen wird, 500 Milliarden davon aus dem Ausland. Nabucco hätte eine jährliche Kapazität von 31 Milliarden Kubikmetern. Mathematisch ist das ein kleiner Anteil. Politisch wäre jedoch die Röhre ein großes Signal. Nabucco
wäre ein Durchbruch für echten Wettbewerb auf dem Gasmarkt. Wenn Europa es schaffte, später auch noch die Gasproduktionen
von Algerien, Libyen und Ägypten für seinen Markt zu bündeln, glaubt die E U-Kommission , könnten diese Lieferungen im Jahre 2020 so hoch sein wie die russischen Gasexporte. Zwei Rohrleitungen führen bereits durch
das Mittelmeer nach Italien und Spanien.
Nabucco könnte also den Startschuss setzen für eine groß angelegte Verbreiterung der europäischen Versorgung. Konzerne ausÖsterreich, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, der Türkei und Deutschland stehen hinter dem Projekt. Kritiker hingegen meinen, die
Leitung lohne die 8-Milliarden -Euro-Investition nicht. Es sei unklar, wenden sie ein, ob die Röhre jemals mit genug Gas gefüllt werden könne, um rentabel
zu arbeiten. Der wichtigste Pool für Nabucco wären die Gasvorkommen im Kaspischen Meer. Dessen Anrainerstaaten sind jedoch,
während Europa plante und plante, dem aggressiven Werben Russlands verfallen. Kasachstan, Turkmenistan und Usbekistan haben
angekündigt, dass sie das Pipelinenetz nach Norden ausbauen werden, statt ihr Gas in die Nabucco-Röhre zu pumpen. Und selbst
Europäer lassen ab vom gemeinsamen Tauziehen. Statt das Großrohr zu unterstützen, will der italienische Energieversorger ENI
mit Gazprom die so genannte South-Stream-Pipeline durchs Schwarze Meer zusammenschweißen – sie ist eine mögliche Konkurrenzröhre
zum E U-Projekt .
»Unser Problem ist: Wenn Russland sagt, es baut eine Pipeline, dann passiert das auch«, sagt ein Kommissionsbeamter in Brüssel,
»gegenüber Europa hat man es dagegen immer mit mehreren Playern zu tun und mit Unsicherheiten. Es ist ein Wettlauf gegen die
Zeit, den wir da betreiben.« Europa stolpert, Russland marschiert. Die turkmenische Regierung immerhin sagte Brüssel zu, rund
10 Milliarden Kubikmeter Gas jährlich nach Europa zu liefern. Bleibt die Frage: Wenn Nabucco nicht nur heiße Luft transportieren
soll, wo soll der Rest des Gases herkommen für Europas Zukunft?
Die E U-Kommission verfolgt dazu kühne Ideen. Wenn das kaspische Gas nicht ausreicht, sollen nicht nur Felder in Ägypten und Katar an Nabucco
angeschlossen werden, sondern auch die von Iran und Irak. Dies wäre im ersten Falle heikel, im zweiten ironisch. Wie lautete
noch eines der Hauptargumente der Europäer gegen den Irakkrieg? Es gehe den Invasoren in Wahrheit nur um die Bodenschätze
des Landes. Kein Blut für Öl!, skandierten im Frühjahr 2003 Millionen Demonstranten auf den Straßen von London, Rom und Berlin. Fünf Jahre nach der U S-Invasion , im Frühjahr 2008, kann E U-Kommissionspräsident José Manuel Barroso gut gelaunt und ganz ohne Gegendemos auf einer Pressekonferenz bekannt geben: »Die Verhandlungen mit
dem Irak laufen sehr gut.« Der irakische Ministerpräsident war nach Brüssel gereist, um ein Abkommen über Gaslieferungen aus
Saddams Ex-Reich zu verhandeln.
Während Russen und Chinesen den Irak längst als Zapfstellebetrachten, waren europäische Firmen lange zögerlich, die menschlichen und finanziellen Gefahren auf sich zu nehmen, die Ölerkundungen
im Bürgerkriegsfeuer mit sich bringen. Doch die steigenden Energiepreise sorgten schließlich auch bei Europas Multis für eine
gewagtere Risikoeinschätzung. Firmen aus Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Norwegen drängen mittlerweile regelrecht
ins Zweistromland, berichtet ein Insider in einer Brüsseler Firmenvertretung. »Alle Großen haben den Irak auf der Karte. Man
kann durchaus sagen: Es herrscht ein ziemlicher Konkurrenzdruck.« Ganz zur Freude der Nabucco-Freunde in der E U-Kommission , versteht sich. Der deutsche Energieexperte Frank Umbach glaubt, die Europäer hätten erkannt, dass sie im Wettlauf um die
irakischen Reserven nicht dieselben Fehler machen dürfen, die ihnen am Kaspischen Meer bereits unterlaufen sind: »Sie müssen
jetzt ihre Pflöcke einschlagen, sonst könnten sie zu spät kommen, wie in
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