So schoen Tot
muss eine nette Formulierung wählen, eine, die ihm sein weiteres Leben vergällen wird.
Damit der Weg für Deine Zukunft frei ist, mache ich Platz.
Oder:
Deinem neuen Glück möchte ich nicht im Weg stehen
.
Allein der Gedanke belebt ihre Stimmung. Walther soll an seinem schlechten Gewissen ersticken.
Yvonne verteilt das Avocadoöl auf Carlottas Gesicht und massiert die samtige Emulsion ein.
»Geht es Ihnen gut, Frau Reiter? Sie sagen gar nichts.«
»Alles bestens«, murmelt Carlotta. Sie würde es ihm heimzahlen. Immer wenn er seine junge Geliebte in den Arm nimmt, wird er an sie denken. Von jetzt an bis in alle Ewigkeit. Amen.
»Zum Abschluss ein bisschen Tagescreme mit Aloe Vera.« Sanfte Fingerspitzen massieren die Creme ein. »Möchten Sie noch ein kleines Make-up? Ich habe da etwas ganz Neues.
Wonder Pearls
. Dieses
Youthing
-Mineralpuder ist der Garant für den perfekten Teint. Es hat die Deckkraft eines Make-ups bei gleichzeitiger Anti-Aging-Pflegewirkung durch das Perlenpulver.«
Eigentlich lässt sich Carlotta nie von Yvonne schminken, nach der
Mesoporation
gönnt sie ihrer Haut Ruhe. Aber heute macht sie eine Ausnahme.
***
Der Altweibersommer gibt sein Bestes. Strahlendblauer Himmel bis zum Horizont, keine Wolke weit und breit. Gelb verfärbte Birkenblätter rascheln im schwachen Wind, lösen sich und schweben langsam auf das Dach der kleinen backsteinernen Friedhofskapelle. Dunkel gekleidete Menschen blinzeln schweigend in die frühe Nachmittagssonne. Endlich wird die Tür des Andachtsraumes geöffnet. Ein Mann in schwarzem Anzug brummt mit tiefer Stimme:»Sie können jetzt von der Verstorbenen Abschied nehmen. Die Trauerfeier in der Kapelle beginnt in einer halben Stunde.«
Walther und Judith setzen sich in Bewegung, achtlos marschieren sie an dem Tischchen rechts am Eingang vorbei. Im Unterschied zu mir. Ich lasse die Todesanzeige neben dem Kondolenzbuch auf mich wirken. Sie ist stilvoll mit Trauerrand auf weißem Büttenpapier gedruckt. Wirklich edel. Da hat Walther sich nicht lumpen lassen.
Plötzlich und unerwartet
verstarb
meine liebe Frau und gute Mutter
Carlotta Reiter
geborene Hensen
* 15. 2. 1956 † 30. 9. 2011
in tiefer Trauer
Walther Reiter
mit
Judith
Wieso nennen die mein Geburtsdatum? Keine Frau möchte ihr eigenes Alter schwarz auf weiß vor Augen gehalten bekommen.
Warum?
Diese Frage sollte oben auf der Traueranzeige stehen. Tut es aber nicht. Stattdessen lese ich unten:
Wir bitten, von Beileidsbekundungen am Grab abzusehen.
Das ist doch bescheuert. Gerade diese Bekundungen würde ich gerne hören. Hat man ja nicht alle Tage, dass so viele Leute zusammenkommen und man im Mittelpunkt steht.
Brennende Kerzen tauchen den kühlen Andachtsraum in feierliches Licht. Der Sarg ist aus dunklem Schleiflack, genau, wie ich es mir gewünscht habe. Schön, wie mein Körper im tief dekolletierten kleinen Schwarzen aufweißen Satin gebettet ist. Es sieht so aus, als würde ich schlafen.
Walther und Judith starren schweigend auf mich, ihre Taschentücher wandern zwischen Nase und Augen hin und her, fröstelnd nehmen die beiden schließlich in der ersten Reihe Platz. Da flackern die Flammen der Kerzen im Luftzug, meine Freundinnen treten ein. Das wird auch langsam Zeit, schließlich haben sie nur eine halbe Stunde am geöffneten Sarg. Renate ist blass. Ihre Falten am Mund sind nicht zu übersehen, auch nicht die unter den Augen. Sie sollte wirklich mehr an sich arbeiten, sonst findet die nie einen neuen Mann. Ich dagegen: für immer schön. Noch im Tod ist mein Teint klar. Kein Krähenfuß weit und breit. Und die Lippen erst! Prall und voll. Da kann sich Renate mal ein Beispiel nehmen. Erst recht an meinem Busen. Der sieht sogar im Liegen prächtig aus. Walther hat sich zuerst geweigert, mich so herrichten zu lassen. Zum Glück hat Renate sich durchgesetzt und ihn an meine Wünsche im Abschiedsbrief erinnert. Auf eine Freundin ist eben stets Verlass.
Jetzt sitzen endlich alle und bewundern das gelungene Arrangement.
»Carlotta sieht wirklich phänomenal gut aus für ihr Alter«, flüstert Renate Bettina zu.
»Stimmt. Was für ein makelloser Teint!«
»Und trotzdem hatte Walther eine andere.« Renates Augen funkeln wütend. »Männer sind und bleiben Schweine.«
Alles ist bestens. Bis auf mein Lippenrot. Das hätte eine Spur dunkler sein können.
Walther hat das Flüstern meiner Freundinnen hinter sich gehört und dreht sich um.
»Danke, dass ihr gekommen
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