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So schoen Tot

So schoen Tot

Titel: So schoen Tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Franke , Sandra Luepkes
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Doktortitel hatte man ihr vor einem Dreivierteljahr aberkannt. In der Folge hatte der Facebook-Pöbel sie auch noch genötigt, ihren Sitz im Hessischen Landtag niederzulegen. Seitdem neigte Alexandra zu Depressionen. Es war keine Übertreibung zu sagen, dass sie diese schweren Zeiten ohne das Sandbad nicht überstanden hätte. Nicht nur bot das im Stil einer antiken Therme erbaute und vor einigen Jahren liebevoll restaurierte Kaiser-Friedrich-Bad Luxus pur und ersetzte glatt eine Reise in die Karibik. Das Sandbad war zwingend notwendig für ihr Überleben.
    Schon allein der immer gleiche Ablauf, den sie sich jeden Dienstagnachmittag, dann war Damenbad, gönnte, war Teil ihrer Regeneration. Sie erfrischte sich im tropischen Eisregen und erfreute sich am dekorativen Fliesenmuster der Grotte, derweil die mit Wasser vermischten Eiskristalle über ihre Schultern bis in die Kniekehlen rieselten. Meditierte sodann im Steindampfbad, während sie die abenteuerliche Hebelkonstruktion bewunderte, mittels derer erhitzte Natursteine in regelmäßigem Abstand in ein Kaltwasserbecken eingetunkt wurden, was sowohl die Luftfeuchtigkeit als auch die Raumtemperatur in die Höhe jagte. Tauchte sodann selbst zur Abkühlung ins Lavacrum, bevor sie sich an der Quellenbar ein kalorienarmes kühles Getränk spendierte. Die geschmackvollen Wandmalereien, die Reliefs und Fresken, die Jugendstilornamente und Mosaikfußböden, alles trug zur Aufhellung ihrer Stimmung bei. Nicht zu vergessen auch die lateinischen Bezeichnungen,von denen Alexandra nicht bei jeder hätte sagen können, was sich dahinter verbarg. Frigidarium, Lumenarium, Sanarium, Sudatorium, Tepidarium   … Es reichte ihr, die Worte wie einen Rosenkranz oder ein schönes Mantra herunterzubeten.
    Wie lange aber würde sie sich diese Besuche noch leisten können? Ihre Ersparnisse schmolzen von Monat zu Monat dahin. In dieser Woche war sie zum ersten Mal von ihrer Routine abgewichen, da sie vorgestern, am Dienstag, kein Geld mehr für den Eintritt übrig gehabt hatte und daher bis heute hatte warten müssen. Mit dem doppelten Nachteil, dass ab heute, es war der erste September, wieder der im Winterhalbjahr geltende Eintrittspreis erhoben wurde, fünf Euro pro Stunde gegenüber drei fünfzig im Sommer. Für sich gesehen mochte das ja noch angehen, aber mit den nötigen Extras   – dem Eintritt ins Sandband, dem für ihre zu Irritationen neigende Haut so wohltuenden Softpack mit Nachtkerzenöl oder auch mal einem Venus-Verwöhnpaket   – läpperte sich schnell noch einiges mehr zusammen. In Zukunft würde sie zumindest auf den Energiedrink an der Quellenbar verzichten müssen.
    Hätte sie sich doch nur nie auf diese Fernsehtalkshow eingelassen, bei der ja eigentlich ein ganz anderes Thema zur Debatte gestanden hatte! Um die Glaubwürdigkeit der Politik hatte es gehen sollen, nicht um die Glaubwürdigkeit von Dissertationen. Wer rechnete denn damit, nach seiner blöden Doktorarbeit von anno dunnemals befragt zu werden? Sie leider nicht. Dabei war sie so gut vorbereitet gewesen, hatte sämtliche Zahlen und Statistiken über Windräder und Kindertagesheimplätze, über Energiebedarf, Kriminalitätsraten und den Anstieg der Geburtenzahlen in Südhessen und Nordhessen parat gehabt. Aber als man sie nach dem Thema ihrer Dissertation befragt hatte, war sie so perplex gewesen, dass sie sich nicht einmal mehr andas genaue Forschungsgebiet erinnern konnte. Schließlich lag das alles gut und gerne fünfzehn Jahre zurück. Seitdem hatte sie sich, weiß Gott, mit genügend anderen Fragen und Problemen beschäftigt. Irgendetwas Staatsrechtliches war es gewesen, wohl auch im Vergleich zur DDR, so viel hatte sie immerhin noch gewusst. Aber was genau   … tja   …
so what?
Wen interessierte das schon?
    Immer, wenn Alexandra sich an diesen Moment der Fernsehsendung erinnerte, musste sie laut und vernehmlich fluchen. Als wollte sie das peinliche Schweigen, das in der Runde geherrscht hatte, noch im Nachhinein brechen. Glücklicherweise hörte sie hier unten ja niemand; im Unterschied zu den verschiedenen Schwitzbädern war man im Sandbad allein, es sei denn, man buchte gemeinsam. Sie bohrte die Zehen tiefer in den Sand und seufzte noch einmal. Angeblich konnten sich Menschen, die ihre Doktorarbeiten eigenhändig verfasst hatten, noch Jahre später an genaue Formulierungen erinnern. Waren in der Lage, nicht nur den mit Fachvokabular gespickten Titel, sondern ganze Passagen wie auf Knopfdruck zu

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