Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)

So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)

Titel: So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Schlingensief
Vom Netzwerk:
mehr Filme gucken, möglichst nicht im Kino, sondern zu Hause in einer schönen Atmosphäre. Ich möchte gerne mehr Zeit für meine Frau haben. Und ich möchte mal raus in die Natur fahren, um eine Wanderung zu machen, oder vielleicht auch nur, um dazusitzen und zu gucken. Das sind meine Wünsche. Neben zehntausend anderen Wünschen, die alle mit Liebe und mit Gesundheit und Geborgenheit zu tun haben.
    Was da in mir passiert ist, was das bewirkt hat und noch bewirken wird, ist massiv. Das ist echt supermassiv. Nicht irgendein winziges Beben auf der Richterskala, wo nur ein Buch aus dem Regal gefallen ist. Sondern das ist in seiner ganzen Fragwürdigkeit, auch in seiner ganzen Einsamkeit, eigentlich nicht zu erklären. Und da brauche ich noch so viel Zeit. Und ich wünsche mir Zeit. Jetzt schlaf ich was. Gute Nacht.

[ Menü ]
    Sonntag, 3. Februar
    Heute Abend wollte ich eigentlich nicht mehr in das Gerät reden. Es ist schon ein Uhr nachts, soweit ich das überblicke, und ich habe heute eigentlich genug geredet. Trotzdem will ich ein paar Sachen festhalten, ich probiere mal eine Kurzfassung.
    Der Tag begann ganz ruhig. Ich bin gut aufgewacht, hatte allerdings im Nacken die Haare klatschnass, auch der Rücken war nass, ich muss also stark geschwitzt haben in der Nacht. Aufstehen, Waschen, Einreiben, Blutdruck messen und all das Zeug waren okay, sich bewegen tut halt weh. Wie das eben so ist.
    Ich habe dann in Ruhe gefrühstückt, dabei aus dem Fenster geschaut, ohne groß nachzudenken: Die Sonne schien, Flugzeuglinien am Himmel, ein paar Vögel, Raureif – das war sehr, sehr schön. Dann habe ich natürlich doch wieder Zeitung gelesen. Irgendwann ging die Tür auf und ein gut gelaunter Professor Kaiser kam rein. Eine halbe Stunde ist er bestimmt geblieben, ich habe ihm von meinem Gedankenchaos erzählt und er hat mir Mut gemacht. Sagte, dass ich stolz sein könne. Und dass sich bei mir sicher noch viele Perspektiven verschieben würden, das sei normal bei so einem Schuss vor den Bug, so hat er sich ausgedrückt.Aber ich solle dann schön an meine Arbeit gehen, die Johanna-Inszenierung machen und auch die anderen Projekte in Angriff nehmen. Ich solle das alles schön durchziehen.Vorher würden sie mich hier so weit wiederherstellen, dass es dann zu Hause auch etwas leichter werde. In diesem Stil hat er geredet. War also ein guter Anfang des Tages.
    Als etwas später Besuch von einem Freund kam, habe ich aber gemerkt, dass ich etwas nörgelig wurde, wahrscheinlich weil ich heute mehr Schmerzen hatte. Um eins habe ich dann zu Mittag gegessen. Wieder fast alles leer geputzt. Es läuft immer gleich: Erst habe ich keinen Hunger, dann esse ich trotzdem und dann geht’s auch wunderbar. Nach dem Essen habe ich geschlafen. Ging langsam los, aber ich kam gut in Fahrt und der Schlaf war schön.
    Dann ging’s weiter mit Kaffeetrinken. Die Sonne ging langsam unter und da fingen wieder die schwarzen Gedanken an zu kreisen. 17 Uhr, da geht’s meist los mit den Dämonen. Diesmal vor allen Dingen der Gedanke daran, dass ich Aino vielleicht bald schon verlassen muss. Mein Gott, das Bild von ihr und mir, was ich hier aufgehängt habe, ist so schön! Das ist so schön, dass ich das fast schon abgehängt hätte, weil ich den Gedanken kaum aushalte, mich von ihr verabschieden zu müssen. Ich habe jedenfalls heulen müssen, ich war fertig, es tat mir weh, ich wurde immer quengeliger.
    Dann kam Aino endlich. Sie war heute den ganzen Tag unterwegs gewesen, hat sich mal ein bisschen um sich selbst gekümmert, sich was Gutes getan. Sie hätte dabei aber ein schlechtes Gewissen gehabt, sagt sie. Und das ist wahrscheinlich auch der wahre Grund, warum ich den ganzen Tag schlechte Laune hatte, nicht weil die Schmerzen heute stärker waren, sondern weil ich mich allein gelassen fühlte, weil ich mir natürlich ausmale, dass die Welt da draußen für sie auch wunderbar ohne mich läuft. Ich habe diese Angst, dass ich ihr nichts mehr bieten kann, dass ich jetzt so ein Lahmarsch bin. Bevor sie kam, bin ich deshalb mal alleine den Gang auf und ab gegangen. Das war so anstrengend, da habe ich mich so hilflos gefühlt, dass ich weinen musste, als ich wieder im Bett lag. Als Aino mich da so liegen sah, hat sie mich natürlich sofort getröstet und wir haben zusammen diesen Spielfilm über Francis Bacon angeschaut. War mir eigentlich ein bisschen viel Tod, Gedärme, Masochismus und so, aber während der Film lief, haben wir uns in den Armen gelegen und

Weitere Kostenlose Bücher