So still die Nacht
Fluch wehte herunter. Mark kicherte.
»Ich versuche … nun, seit einem Jahrhundert … eine Einladung zu ergattern«, beklagte sie sich.
»Tut mir leid. Vielleicht nächstes Jahr.«
Längeres Schweigen trat ein. »Du hättest dieses kleine Mädchen nicht zu heiraten brauchen, um an die Schriftrollen heranzukommen.«
»Das ist mir klar.«
»Weiß sie es?«
»Dass ich ein Amaranthiner bin? Ja.«
Weiteres langes Schweigen.
»Möchtest du, dass ich nach oben komme?«, fragte Mark.
»Halt einfach den Mund. Ich bin nicht hergekommen, um dich zu sehen. Ich wollte nur die Aussicht genießen.«
»Ich liebe dich, Selene.«
Ein Tropfen traf von oben seinen Kopf.
Am nächsten Morgen kam Mina vollständig angekleidet aus dem Schlafzimmer. Mark lag auf dem Sofa ausgestreckt. Allein sein Anblick, düster und mit freiem Oberkörper, die Hose halb geöffnet, ließ ihren Mund trocken werden.
»Du hättest nicht hier auf dem Sofa zu schlafen brauchen«, tadelte sie ihn leise.
»Doch.« Er rieb sich den Nacken.
»Tut dein Nacken weh?«
»Mein Nacken ist nicht das Einzige, was wehtut.« Sein Blick fixierte sie.
Mina errötete. Sie hatte selbst unruhig geschlafen.
»Ich schlafe nicht gern ohne dich«, murrte er.
Sie lächelte, jedoch nicht zu strahlend, denn sie wollte ihn nicht necken oder ermutigen. »Wann haben wir jemals zusammen geschlafen, länger als eine halbe Stunde?«
Er rieb sich mit der flachen Hand die Augen. »Sag mir, dass ich es nicht wieder zu tun brauche.«
»Ich habe dir gerade gesagt, dass du nicht auf dem Sofa zu schlafen brauchst.«
»Du weißt, was ich meine.« Und wieder wanderten zwei lüsterne blaue Lichtpunkte durch ihre Kleidung. Sie wusste genau, was er meinte, wollte aber nicht weiter darauf eingehen.
»Die Mädchen werden bald hier sein«, bemerkte sie leichthin. »Ich habe ihnen geschrieben und angeboten, eine Kutsche zu mieten, um sie abzuholen. Ich denke, sie wollen gern das Hotel und unsere Suite sehen.«
Mark stand auf. »Ich werde mich anziehen.«
»Du brauchst uns nicht zu begleiten. Wir gehen nur zu einem Modegeschäft auf der Tavistock Street. Du kannst nach Leeson und dem Haus sehen.«
»Ich will nicht, dass du allein ausgehst. Ich will nicht, dass du irgendwohin allein gehst, bis diese ganze Angelegenheit mit deinem Vater und den Schriftrollen und … und …« Er wedelte mit der Hand.
»Und den dunklen Kräften.«
»Ja, bis all das geregelt ist.«
Er zog sich an und rasierte sich. Gerade als er aus dem Badezimmer kam, erklang ein Klopfen. Mina öffnete die Tür.
Astrid kam als Erste herein, von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet, gefolgt von Evangeline in einer ähnlichen Aufmachung. Ihre Gesichter strahlten vor Aufregung, aber Mina nahm eine verräterische Röte in ihren Augen wahr und dunkle Ringe darunter.
»Oh, Mina, wissen Sie, wen wir unten in der Lobby gesehen haben?«, schwärmte Astrid.
Evangeline platzte heraus: »Die Göttliche Sarah. Die Schauspielerin, Sarah Bernhardt. Mr D’Oyly Carte hat uns mit ihr bekannt gemacht. Sie ist gekommen, um sich eine Suite anzusehen.«
Astrid kicherte. »Es heißt, sie habe in einem Sarg geschlafen, um das Tragische ihrer Rollen besser zu verstehen. Können Sie sich vorstellen, wie morbide es wäre, in einem Sarg aufzuwachen?«
Evangeline flüsterte, laut genug, dass jeder im Umkreis von drei Häuserblocks es hören konnte: »Es heißt auch, sie sei die Mätresse des Prinzen von Wales. Glauben Sie, das ist wahr?«
»Sie ist eine sehr attraktive Frau«, bekräftigte Astrid.
»Ich nehme an, das ist sie. Für ihr Alter.«
»Mädchen«, unterbrach Mina sie; sie hatte das Gefühl, als sei sie fünfzig Jahre älter als die beiden, obwohl es in Wirklichkeit nur wenige Jahre waren.
Ihre Blicke flogen zu Mark. Beide erröteten tief.
Astrid murmelte: »Entschuldigung, Lord Alexander. Es ist nur so, dass das Hotel so schön ist, und wir waren tagelang im Haus eingesperrt.«
»Nur einen einzigen Tag«, flüsterte Evangeline.
»Nun, es kam mir vor wie Tage.«
Mina führte die Mädchen in der Suite herum. Anschließend gingen sie alle nach unten. Mit der Trafford’sche Kutsche legten sie die kurze Strecke vom Savoy zu ihrem Ziel zurück.
Hinter den Schaufenstern befand sich ein eleganter Empfangsraum, ausgestattet mit üppigen blauen Teppichen und Goldvorhängen. Auf Mahagonitischen lagen alle möglichen Stoffe, Bordüren und Accessoires. Andere Kunden, größtenteils weiblichen Geschlechts, drängten sich in dem
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