So wahr uns Gott helfe
Verteidigung würde bereits die Anklage übernehmen oder zumindest vorbereiten, indem sie die Ereignisse aus ihrer Sicht darlegte.
Stanton runzelte angesichts der Zeitforderungen die Stirn und legte sowohl Anklage wie Verteidigung nahe, sich, wenn irgend möglich, etwas kürzer zu fassen. Er wollte den Geschworenen den Fall vorstellen, solange ihre Aufnahmefähigkeit noch hoch sei.
Während die Geschworenen auf der Bank Platz nahmen, hielt ich nach Hinweisen auf etwaige Voreingenommenheiten und dergleichen Ausschau. Ich war immer noch zufrieden mit ihnen, vor allem mit dem Geschworenen drei, dem Anwalt. Ein paar andere waren mit Vorsicht zu genießen, aber ich hatte am Wochenende beschlossen, meine Darstellung des Falls ganz auf den Anwalt abzustimmen und zu hoffen, dass er die anderen mitziehen würde, wenn er für einen Freispruch stimmte.
Die Geschworenen hielten entweder den Blick gesenkt oder blickten zum Richter auf, dem Alpha-Tier im Gerichtssaal. Keiner von ihnen blinzelte auch nur in Richtung der Plätze von Anklage oder Verteidigung.
Ich drehte mich zum Zuschauerbereich um. Der Saal war wieder bis auf den letzten Platz besetzt mit Medienvertretern, interessierten Bürgern sowie Freunden und Verwandten der Beteiligten.
Direkt hinter dem Tisch der Anklage entdeckte ich Mitzi Elliots Mutter, die aus New York angereist war. Neben ihr hatten Johann Rilz’ Vater und zwei seiner Brüder Platz genommen, die alle aus dem fernen Berlin gekommen waren. Mir fiel auf, dass Golantz die trauernde Mutter direkt am Mittelgang positioniert hatte, wo ihr nie versiegender Tränenstrom für die Geschworenen deutlich zu sehen war.
In der ersten Reihe hinter mir waren fünf Plätze für die Verteidigung reserviert. Auf ihnen saßen Lorna, Cisco, Patrick und Julie Favreau, die ich als letztes Mitglied meines Teams hinzugezogen hatte, damit sie während des Prozesses die Geschworenen beobachtete. Ich konnte die Jurymitglieder nicht ständig im Auge behalten, aber manchmal war ihr Mienenspiel recht aufschlussreich, besonders wenn sie glaubten, keiner der Anwälte würde hinsehen.
Der leere fünfte Platz war für meine Tochter reserviert. Ich hatte gehofft, meine Exfrau überreden zu können, Hayley vom Unterricht befreien zu lassen, damit sie mich ins Gericht begleiten konnte. Sie hatte mich noch nie bei der Arbeit gesehen, und die Eröffnungsplädoyers wären für einen solchen Einstieg die ideale Gelegenheit. Ich fühlte mich meiner Sache ziemlich sicher, und ich wollte, dass meine Tochter ihren Vater so erlebte. Meinem Plan zufolge hätte sie neben Lorna sitzen sollen, die sie kannte und mochte, um meinen Auftritt vor den Geschworenen verfolgen zu können. Bei der Diskussion mit meiner Exfrau hatte ich mich sogar auf einen Ausspruch Margaret Meads berufen, dass man ein Kind aus der Schule nehmen müsse, damit es etwas lerne. Aber ich stand von Anfang an auf verlorenem Posten. Meine Exfrau erlaubte es nicht. Meine Tochter musste in die Schule gehen, und der reservierte Platz blieb unbesetzt.
Für Walter Elliot befand sich niemand im Zuschauerbereich. Er hatte keine Kinder und auch keine Verwandten, zu denen er ein enges Verhältnis pflegte. Nina Albrecht hatte mich gefragt, ob sie zum Zeichen ihrer Unterstützung im Zuschauerraum Platz nehmen dürfe, aber weil sie sowohl auf den Zeugenlisten der Anklage als auch Verteidigung stand, war sie bis zum Abschluss ihrer Aussagen vom Prozess ausgeschlossen. Ansonsten begleitete niemand meinen Mandanten. Und das war Absicht. Es gab zwar zahlreiche Geschäftspartner, Sympathisanten und Mitläufer, die seinetwegen den Prozess hatten mitverfolgen wollen. Sogar ein paar Filmstars wären bereit gewesen, zum Zeichen ihrer Unterstützung hinter ihm zu sitzen. Doch ich machte ihm klar, wenn eine Hollywood-Entourage oder Firmenanwälte auf den Plätzen hinter ihm thronten, würde er den Geschworenen die falschen Zeichen senden und sich ein negatives Image verleihen. Alles dreht sich um die Geschworenen, erklärte ich ihm. Jede Entscheidung, von der Wahl der Krawatte bis hin zu den Zeugen, die man aufruft, trifft man allein in Hinblick auf die Jury. Unsere anonyme Jury.
Nachdem es sich die Geschworenen auf ihren Plätzen bequem gemacht hatten, erklärte Richter Stanton die Sitzung für eröffnet. Er begann die Verhandlung, indem er sich erkundigte, ob einer der Geschworenen den Artikel in der Times gelesen hätte. Niemand hob die Hand, worauf Stanton die Gelegenheit nutzte, die
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