So wahr uns Gott helfe
entwarf.
Ein Tatort gleicht einer Landkarte. Wenn man ihn zu lesen versteht, findet man manchmal einen Hinweis auf den Weg, den man bei der Verteidigung einschlagen muss. Die örtlichen Gegebenheiten, die Haltung der Opfer im Tod, die Winkel von Blicken, Lichtquellen und Blutspritzern. Auch die räumlichen Begrenzungen und die Anordnung der Dinge im Raum waren Bestandteile der Karte. Aus einem Polizeifoto kann man das nicht immer alles erschließen. Manchmal muss man es mit eigenen Augen gesehen haben. Deshalb war ich nach Malibu gekommen. Wegen der Landkarte. Um die Geografie des Mordes zu studieren. Sobald ich sie verstand, war ich bereit, vor Gericht zu ziehen.
Von meiner Ecke aus blickte ich auf das fehlende Stück Teppich neben der Schlafzimmertür. Dort war das männliche Opfer, Johann Rilz, erschossen worden. Mein Blick wanderte zum Bett, auf dem Mitzi Elliot gestorben war, den nackten Körper diagonal darüber hingestreckt.
Laut Akte gingen die Ermittler davon aus, dass das nackte Paar einen Eindringling im Haus gehört hatte. Rilz eilte zur Schlafzimmertür und riss sie auf, um noch an Ort und Stelle vom Täter niedergeschossen zu werden. Anschließend trat der Mörder über ihn hinweg ins Zimmer.
Mitzi Elliot sprang vom Bett und blieb, ein Kopfkissen an ihren nackten Körper gepresst, wie erstarrt stehen. Der Anklage zufolge, deuteten die Umstände der Tat darauf hin, dass sie ihren Mörder gekannt hatte. Vielleicht hatte sie noch um ihr Leben gebettelt, vielleicht erkannte sie aber auch die Unabwendbarkeit ihres Todes. Jedenfalls wurde sie aus einer Entfernung von schätzungsweise einem Meter zweimal durch das Kopfkissen getroffen und rückwärts auf das Bett geschleudert. Das Kissen, das sie als Schutz umklammert hatte, fiel zu Boden. Dann trat der Mörder ans Bett und drückte ihr den Lauf der Pistole für den Todesschuss an die Stirn.
So lautete zumindest die offizielle Version. Als ich jetzt in der Ecke des Schlafzimmers stand, wurde mir klar, dass sie auf mehreren unbegründeten Annahmen basierte, die ich beim Prozess ohne Probleme auseinandernehmen und abschmettern könnte.
Ich musterte die Glastüren, die zu der Terrasse über dem Pazifik führten. In den Akten hatte nichts darüber gestanden, ob die Vorhänge und Türen zum Zeitpunkt des Mordes offen gewesen waren. Ich hatte keine Ahnung, ob das wichtig war, trotzdem hätte mich dieses Detail interessiert.
Ich schlenderte zu den Glastüren und stellte fest, dass sie abgeschlossen waren. Vergeblich suchte ich den Mechanismus, mit dem man sie öffnete. Schließlich kam mir Nina zu Hilfe. Sie drückte mit einem Finger den Sicherungshebel nieder und drehte mit der anderen Hand die Verriegelung auf. Die Türen schwangen nach außen auf und ließen das Donnern der Brandung herein.
Mir wurde sofort klar, dass der Brandungslärm jedes Geräusch des Eindringlings im Haus übertönt hätte, wären die Türen zum Zeitpunkt des Mordes offen gestanden. Dies hätte der Theorie der Anklage widersprochen, Rilz hätte ein Geräusch im Haus gehört und nachsehen wollen. Stattdessen hätte es die Frage aufgeworfen, was Rilz nackt an der Tür zu suchen hatte, auch wenn die Antwort darauf für die Verteidigung keine sonderliche Rolle spielte. Meine Aufgabe bestand lediglich darin, Fragen aufzuwerfen und Widersprüche aufzuzeigen, um in den Köpfen der Geschworenen Zweifel zu säen. Es bedurfte nur eines einzigen Zweifels im Kopf eines einzigen Geschworenen, um zum erwünschten Erfolg zu gelangen. Das nannte man in der Strafverteidigung die Entkräftungs-Methode.
Ich trat hinaus auf die Terrasse. Ich hatte keine Ahnung, ob gerade Ebbe oder Flut herrschte, nahm aber an, dass es irgendwas dazwischen war. Das Wasser kam nah ans Haus heran. Die Wellen umspülten die Pfeiler, auf denen es errichtet war.
Obwohl die Brecher an die zwei Meter hoch waren, paddelten keine Surfer auf dem Wasser. Ich erinnerte mich an das, was Patrick über seine Surfversuche in der Bucht berichtet hatte.
Wieder zurück im Schlafzimmer, merkte ich, dass mein Handy läutete, was ich zuvor wegen des Brandungsrauschens nicht hatte hören können. Auf dem Display leuchtete UNBEKANNTE NUMMER. Ich wusste, dass die meisten Polizisten die Rufnummernanzeige deaktivierten.
»Nina, ich kriege gerade einen Anruf. Wären Sie vielleicht so freundlich, kurz zu meinem Wagen zu gehen und meinen Fahrer zu bitten, ins Haus zu kommen?«
»Selbstverständlich.«
»Danke.«
Ich nahm das Gespräch
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