So weit der Wind uns trägt
Nachbarn fand er auf diesem Fleckchen Land mehr Frieden als irgendwo sonst auf der Welt. Es war wunderbar, am Abend die selbstgezogenen Früchte der Erde zu essen, dazu ein Glas Rotwein zu trinken und die Stille, die Weite, die Reinheit der Luft zu genießen.
Zu seinem schrecklichen Nachbarn hatte er seit diesem ersten Rechtsstreit nie Kontakt gesucht. Und der nicht zu ihm. Sie kommunizierten ausschließlich über Anwälte miteinander, etwa, als Fernando es diesem Cowboy hatte untersagen lassen, sein Grundstück zu überfliegen. Sein neuer Anwalt taugte wesentlich mehr als der alte, wer hätte das gedacht? War doch noch was aus seinem Sohn Marcos geworden. Zurzeit stritt er mit dem Vertreter der anderen Seite darüber, ob er ohne Baugenehmigung ein Häuschen hätte errichten dürfen. Marcos hatte ihn beruhigt und gesagt, dass ein »Geräteschuppen« nicht baugenehmigungspflichtig war. Aber wenn Ricardo da Costa ihm nun einen Prüfer auf den Hals jagte, der dann feststellen würde, dass der Schuppen durchaus nicht nur zur Beherbergung von Geräten, sondern auch zu der von Menschen geeignet war? Dieser Teufel von nebenan war wirklich zu jeder Gemeinheit fähig. Sein jüngster Coup war gewesen, dass er auf dem Amt angefragt hatte, seit wann Geräteschuppen nicht mehr überflogen werden durften und seit wann Geräte Post bekamen. Da hatte wohl die Dona Ana Maria ein bisschen geplaudert, die ihm ganze zwei Schreiben zugestellt hatte. Tja, zugegeben, wäre er anstelle des Cowboys gewesen, hätte er diese Unbedachtheit ebenfalls zu seinem Vorteil ausgeschlachtet. Früher wäre ihm so etwas nicht passiert. Er hatte sich mit seinem »Geräteschuppen« in eine Zwickmühle gebracht. Nein, Marcos hatte es getan. Nichtsnutziger Bengel.
Fernando wusch die Möhren und überlegte, ob er noch ins Dorf fahren sollte, um ein Stück Fleisch zu kaufen. Brot und Käse hatte er noch da, ebenso Kartoffeln und einen halben Schinken. Ohne Kühlschrank war die Vorratshaltung ein wenig eingeschränkt, und frische Sachen konnte er immer nur in geringen Mengen kaufen. Doch, heute würde er sich ein Kotelett in die Pfanne hauen, das würde sogar er mit seinen dürftigen Kochkenntnissen noch hinbekommen. Er nahm die Autoschlüssel, ging zu dem Wagen, den er am Wegesrand abgestellt hatte, und fuhr los.
Im Rückspiegel sah er, dass sich ihm ein anderes Auto näherte. Als es weiter aufrückte, erkannte Fernando, dass es sich um den VW des Cowboys handelte. Ha, das war gut. Der Knabe würde überholen wollen – und er, Fernando Abrantes, würde ihn nicht lassen! Er würde noch langsamer schleichen als sonst und genau wissen, was in dem Kopf dieses Draufgängers vor sich ging. Er hatte es in jüngeren Jahren auch immer so eilig gehabt. Der VW war nun dicht hinter ihm. Fernando fuhr Schlangenlinien. Der andere hupte. Blendete auf. Hupte erneut. Er hätte Fernando damit keinen größeren Gefallen tun können: Je wütender die Hupe erklang, desto mehr lachte Fernando sich ins Fäustchen.
Auf dem Beifahrersitz des VW s saß Dona Aldora und schüttelte den Kopf über so viel Starrsinn von beiden Seiten. Sie hatte es aufgegeben, mit dem Jungen über dieses Thema reden zu wollen. Einmal nur hatte sie damit angefangen, und er hatte sie sehr unhöflich unterbrochen: »Ich will den Namen Fernando Abrantes nie wieder hören!« Nachzufragen wagte sie nicht mehr. Dennoch interessierte es sie brennend, warum Großvater und Enkel so verfeindet waren. Denn dass Fernando Abrantes der Großvater des Jungen war, das hatte sie schon vor Jahren, als sie noch in der Bibliothek arbeitete, gewusst.
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A ls er schon gar nicht mehr damit gerechnet hatte, tat sich endlich etwas. Geduld musste man eben haben. Hartnäckigkeit, Geduld und Zähigkeit zahlten sich immer aus, insbesondere, wenn sie mit der Androhung oder der tatsächlichen Ausübung von Gewalt einhergingen. Diesmal hatten die Zielobjekte es ihnen besonders leicht gemacht: Sie hatten das Beobachtungsfahrzeug angegriffen, wenn auch nur mit einer Gießkanne. Im Bericht würde er daraus ein »metallenes Geschoss für die zivile Nutzung« machen, das klang besser. Schließlich konnte auch eine Gießkanne tödlich sein, wenn sie aus großer Höhe abgeworfen wurde und einen Menschen direkt auf dem Kopf traf. Das Werfen der Gießkanne hatte einen sofortigen Zugriff gerechtfertigt. Sein Mann, der Neuling Raúl Figueiredo, hatte da ganz richtig gehandelt.
Allerdings hatte er den Hauptverdächtigen, Cristiano Nunes,
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