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So weit die Wolken ziehen

So weit die Wolken ziehen

Titel: So weit die Wolken ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Fährmann
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gotischen Lettern weiter: Ihr waret verloren, heut’ ist euch geboren, der Heiland, der allen das Leben verspricht. »Oh fürchtet euch nicht«, las Dr. Scholten halblaut. »Das müsste man sich in dieser Zeit oft ins Gedächtnis rufen.« Er bedankte sich. »Sie machen mir mit diesem Blatt eine große Freude.«
    Als sie aufgestanden waren, sagte Pater Martin: »Pater Lukas und ich haben uns übrigens überlegt, wie wir Ihnen und den Mädchen ein Problem vom Hals schaffen können. Uns ist zugetragen worden, dass Frau Malik und Frau Lötsche den Flaggenappell an den Sonntagen genau in die Zeit gelegt haben, zu der wir hier die Messe feiern. Früher sind stets etliche Mädchen zu uns heraufgekommen. Nun wollen wir uns nicht auf ein Katz-und-Maus-Spiel einlassen und die Messzeit ändern. Wir würden doch immer die Rolle der Maus übernehmen müssen. Die Flaggenverehrung kann, was immer wir auch machen, stets so angesetzt werden, dass die Feier der Messe für Ihr Haus nicht möglich ist. Wir werden daher anbieten, für die Mädchen eine Messe in der kleinen Kapelle neben der Sakristei zu feiern. Vorher können wir ja jeweils kurz beraten, wann die günstigste Zeit dafür ist.«
    »Den Mädchen wird es gefallen«, stimmte Dr. Scholten zu. »Einige waren übrigens befremdet, dass in Maria Quell die Leute während der ganzen Messe halblaut den Rosenkranz beten und davon, was am Altar geschieht, kaum Notiz nehmen.«
    Pater Martin nickte. »Sie wissen ja, dass ich auch aus dem Ruhrgebiet stamme. Dort sehen die Gemeinschaftsmessen vor allem für die Jugend anders aus. Das wird in der Kapelle in Zukunft auch so sein.«
    Dr. Scholten wollte noch ein paar Schritte gehen. Er spazierte bergan bis ungefähr zum Haus am Hang. Warum mögen sie Frau Salm nicht bitten, die Orgel zu spielen? Merkwürdig, wie zugeknöpft die Patres bei diesem Thema gewesen sind.
    Unter ihm lag das weite Tal im hellen Mondlicht. Er war überwältigt von dem Sternenflimmern. Im Ruhrgebiet funkelte es nie so hell, weil Qualm und Dreck aus tausend Fabrikschornsteinen die Sterne selbst in wolkenlosen Nächten blass und fern erscheinen ließen. Ob meine Frau in dem Dorf bei Detmold das Himmelszelt auch so klar sieht? Ob sie dort ihrer Mutter und ihrer Schwester und den vier Kindern immer noch eine willkommene Hilfe ist? Ob unser Sohn Christoph heil aus den Kämpfen in Italien herauskommt?
    »Was sind das nur für Zeiten«, rief Dr. Scholten laut in die Nacht. »Was sind das nur für Zeiten.«
    Wenige Tage nach Neujahr gab der Direktor etwas bekannt, was bei den Schülerinnen großen Jubel, im Kollegium aber Befürchtungen auslöste. Ein amtliches Schreiben war eingetroffen, das einen überraschenden Besuch ankündigte. In Oberhausen sollte ein Sonderzug für all die Eltern eingesetzt werden, die es ermöglichen konnten, das KLV-Lager zu besuchen und ihre Kinder wiederzusehen. Direktor Aumann, Dr. Scholten und die Lehrerinnen, die im Quellenhof wohnten, berieten, was zu tun war.
    »Wir sind jetzt in besonderer Weise gefordert«, sagte der Direktor. »Schließlich wollen wir uns von unserer besten Seite zeigen.«
    »Ich kann nur staunen über den Sonderzug.« Dr. Scholten drückte das aus, was alle empfanden. »Jemand aus der Elternschaft muss sehr gute Beziehungen zur Gauleitung nach Essen haben. In einer Zeit, wo überall auf Plakaten zu lesen ist Räder müssen rollen für den Sieg, in einer solchen Zeit wird kostenfrei ein Sonderzug eingesetzt? Wirklich erstaunlich.«
    »Wir sind eben ein Vorzeigelager«, sagte Frau Lötsche. »Ein Hotel erster Klasse, Zentralheizung und Doppeltüren in allen Zimmern, im Untergeschoss ein Schwimmbecken. Das ist ein richtiges Kurhaus. So etwas gibt es längst nicht für alle Kinder in der Kinderlandverschickung.«
    »Wie wahr«, bestätigte Dr. Scholten. »Mein Neffe ist in einem Lager in Schwaben. Für die Jungen sind Baracken aufgebaut worden. Ein langer Zinktrog mit zwanzig Wasserhähnen ist die einzige Waschgelegenheit für fast zweihundert Jungen.«
    »In der Tschechei soll es zum Teil noch schlimmer sein«, sagte Frau Krase. »Aber am schlimmsten finde ich, dass die Jungen und Mädchen dort zu einer Überheblichkeit erzogen werden, die zum Himmel stinkt.« Auf ihrem Hals zeigten sich rote Flecken.
    »Reg dich doch nicht so auf, Luise. Das ist nicht gut für dein Herz«, mahnte Frau Brüggen.
    »Ich will mich aber darüber aufregen. Stellen Sie sich vor, wenn zum Beispiel deutsche Mädchen oder Jungen in Prag unterwegs

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