So wie ich will - Mein Leben zwischen Moschee und Minirock
etwas Übung braucht man jedoch nicht länger als fünf Minuten. Und selbst ohne dürfte sie in acht bis zehn Minuten erledigt sein.
Die rituelle Reinigung ist vor jedem Gebet Pflicht, sonst wird es von Allah nicht akzeptiert. Deshalb gibt es in jeder Moschee neben den für Männer und Frauen voneinander getrennten Betsälen auch ebensolche Toiletten und Waschräume. Eine Ausnahme könnte es geben - rein theoretisch. Die Reinheit einer Waschung würde auch für ein zweites Gebet erhalten bleiben, würde es einem gelingen, in der
Zwischenzeit keinerlei Körperflüssigkeit abzusondern, weder Blut noch Urin, noch Schweiß oder was man sich sonst noch vorstellen kann. Selbst ein unabsichtlicher Furz ruiniert einem die Reinheit. Genauso wie ein unanständiges Wort, das einem aus Versehen herausrutscht, oder ein Fluch, den man ausstößt, weil man sich über etwas oder jemanden ärgert.
Das Gleiche gilt übrigens, wenn man den Koran lesen will. Ohne Waschung? Streng verboten! Das Heilige Buch darf man nur im gereinigten Zustand in die Hand nehmen.
Für Frauen, die ihre Tage haben, fällt Beten und Koranlesen komplett flach, Fasten während des Ramadan übrigens auch. Die Menstruation wird im Islam als rituelle Unreinheit gesehen. Auch wer ein Tattoo hat, kann seinen Körper so lange schrubben, wie er will - damit gilt er immer als unrein. Das steht zwar nicht im Koran, wurde aber von islamischen Gelehrten der Neuzeit so festgelegt. Diese betrachten Piercings und Nagellack ebenso als Verunreinigung, aber das kann man beides ja problemlos entfernen.
Meine intensivste Betphase erlebte ich mit dreizehn, vierzehn. Damals war mir das Ritual wichtig. Ich dachte, eine gute Muslimin betet, und ich wollte eine gute Muslimin sein. Sicher auch, weil ich in der Familie mit Anne ein perfektes Vorbild hatte. Sie war unglaublich konsequent, das ist sie heute noch. Jeden Tag betet sie fünfmal. Ich habe noch nie erlebt, dass sie es auch nur einmal vergessen hätte. Sie braucht nicht mal eine Uhr oder einen Wecker, um die Gebetszeiten nicht zu verpassen. Irgendwie scheint ihre innere Uhr darauf gepolt zu sein. Sie kauft sich jedes Jahr nur einen Abreißkalender mit der islamischen Zeitrechnung, der hängt bei uns in der Diele. Darauf stehen für jeden Tag
die entsprechenden Zeiten, zu denen gebetet werden soll, das genügt ihr. Anne besitzt auch einen Gebetsteppich, den sie sogar mit in den Kindergarten nimmt, obwohl der Koran diesbezüglich keine Vorschriften macht. Sie könnte auch auf einem x-beliebigen Fußboden beten, nur die Richtung sollte stimmen. Damit da nichts schiefgeht, auch für den Fall, dass sie mal irgendwo unterwegs beten muss, trägt sie an ihrem Schlüsselbund einen kleinen Kompass.
Ich muss zugeben, dass ich zu keiner Zeit, auch damals nicht, annähernd so pflichtbewusst war wie Anne. Für mich war es schon ein Erfolg, wenn ich an einem Tag das Morgen- und das Abendgebet hinbekam, inklusive der rituellen Reinigung davor. Für mehr war ich bei allem guten Willen wohl doch einfach zu faul. Fünfmal habe ich es noch an keinem Tag geschafft. Jetzt, wo ich so darüber nachdenke, fällt mir auf, dass ich auch nie in meinem Zimmer betete. Mein Zimmer und Beten - das passte irgendwie nicht zusammen. Der einzige Raum, in dem bei uns gebetet wurde und wird, ist das Schlafzimmer meiner Eltern, dort gleich hinter der Tür, mit dem Kopf Richtung Mekka, nach Südosten also. Das ist Annes heiliges Fleckchen, und meins war es auch, solange ich noch halbwegs regelmäßig betete. Baba und Tayfun benutzen es nie. Wenn überhaupt, beten die beiden nur an Feiertagen und dann in der Moschee.
Aber darüber kann ich mich nicht aufregen. Mein Gebetsenthusiasmus ließ mit zunehmendem Alter auch stark nach. Heute bete ich eigentlich nur in Notsituationen. Die letzte liegt aber auch schon zwei Jahre zurück.
Keine Lust? Keine Zeit? Zu faul? Zu bequem? Gut, dass mir niemand diese Fragen stellt. Wahrscheinlich würde
ich bei jeder nicken. Ich könnte keinen konkreten Grund nennen, warum ich mit dem Beten aufgehört habe. Ich denke, mir fehlt einfach die Überzeugung. Ich glaube an den Islam, das ja, aber Glaube ist für mich etwas, das man im Herzen trägt, nicht unbedingt auf der Zunge. Regelmäßiges Beten würde keinen besseren Menschen aus mir machen. Ich würde mich auch nicht gläubiger fühlen. Der Unterschied zwischen Anne und mir besteht darin, dass ich gläubig bin, aber nicht religiös, sie schon.
Die dritte Säule nennen wir
Weitere Kostenlose Bücher