So wie ich will - Mein Leben zwischen Moschee und Minirock
Menschen, weil ihr fastet! Na und!« Und Baba schwieg. Doch hinterher, als Tayfun nicht mehr dabei war, seufzte er und fragte klagend in den Raum: »Was sollen
wir nur mit ihm machen?« Und Anne meinte: »Ja, was sollen wir denn machen?«
Seitdem fasten Anne und Baba wieder allein, wie früher, als Tayfun und ich klein waren. Dabei würde ich zu gern mitmachen, doch seit ich Probleme mit dem Magen hatte, darf ich nicht mehr. Krankheit ist eine Entschuldigung, die der Islam akzeptiert. Schwangerschaft ist zwar keine Krankheit und die Menstruation auch nicht, aber beides sind triftige Gründe, aufs Fasten zu verzichten. Frauen, die ihre Tage haben, können aber nachfasten. Anne verlegt das Nachfasten gern in die Wintermonate, dann ist die Zeit zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang nicht so lang.
Natürlich wurde Tayfuns Entscheidung in der gesamten Familie diskutiert. Vor allem Baba und Tante Zeynep lieferten sich deswegen hitzige Wortgefechte. Tante Zeynep ist strikt gegen das Fasten, sie hält es für den größten Mist, den der Islam je erfunden hat, und für ungesund obendrein. Sie steht also auf Tayfuns Seite. Als Lehrerin an einem Oberstufenzentrum mit vielen Migrantenkindern hat sie auch gute Argumente. »Bei mir hängen die Schüler, die fasten, spätestens ab der fünften Stunde herum wie Leichen, können sich überhaupt nicht konzentrieren und liegen mit ihren Köpfen auf den Tischen, so schwach sind sie vor lauter Hunger. Ich finde, Fasten müsste verboten werden!«
Wie immer ist sie in ihren Ansichten ziemlich radikal. Sicher stimmt, was sie sagt, trotzdem denke ich, jeder sollte selbst entscheiden dürfen, ob er fastet oder nicht. Baba beruft sich in solchen Gesprächen auf die Pflichten eines Muslimen: »Im Koran steht, dass man fasten soll!« Auch das stimmt. Der Haken ist nur, dass er ja sonst auch nicht
alles einhält, was der Koran verlangt, das fünfmalige Beten zum Beispiel. Ihre Diskussionen sind zwangsläufig unergiebig, weil keiner bereit ist, seinen Standpunkt aufzugeben. Aber noch mehr, weil ihre Standpunkte auf völlig verschiedenen Ebenen liegen. Tante Zeynep beruft sich auf den gesunden Menschenverstand, Baba auf Religion und Glauben. Beides scheint manchmal einfach nicht zusammenzupassen.
Onkel Cemal, mein lustiger Onkel, fastet, obwohl er schwer arbeitet und daneben noch ständig mit dem Auto unterwegs ist, um seine Kinder hin und her zu kutschieren. Seine Frau, Tante Hediye, hält Fasten auch für ihre Pflicht, so prinzipiell gesehen. Doch seitdem der Fastenmonat in die Sommerjahreszeit gewandert ist, die Tage deutlich länger sind, verzichtet sie lieber darauf. Ihre Arbeit, die Kinder, das ist ja auch alles anstrengend. Mein Onkel Kaan weiß ebenfalls von der Pflicht des Fastens, nimmt sie aber nicht so genau und redet sich damit heraus, dass er das nicht braucht, weil Tante Ipek, seine Frau, für ihn mit fastet. Nur während des letzten Ramadan musste sie aussetzen. Da war ihr Sohn Barkin gerade geboren. Sie stillte, und für stillende Mamis ist Fasten verboten.
Annes Eltern fasten nicht mehr, sie sind zu alt dafür. Großvater scheint das allerdings immer mal wieder zu vergessen. Denn manchmal fastet er doch und wundert sich, wenn er vor Schwäche in Ohnmacht fällt. Dann schimpfen seine Töchter mit ihm.
Eine der schönsten Traditionen unserer Familie besteht darin, sich während des Fastenmonats einmal zu einem ausgiebigen Essen bei den Großeltern zu versammeln. Die beiden haben keine große Wohnung, nur zwei Zimmer, aber
das stört uns nicht. Wir rücken ganz dicht zusammen, sodass an den Tisch im Wohnzimmer, der für sechs Personen gedacht ist, eben zwölf passen. Und wenn der Platz trotzdem nicht reicht, bekommen die Kleinsten ihr Essen im Schlafzimmer serviert. Für sie ist das kein Nachteil, denn dort steht der Fernseher.
Ich habe noch nicht herausgefunden, wie viele Tage vorher Großmutter mit den Vorbereitungen beginnt. Wenn man erlebt, was sie auftischt, könnte man meinen, sie muss eine ganze Woche damit beschäftigt gewesen sein. Zur Tradition gehört, dass sie Speisen zubereitet, die sie früher in ihrem Heimatdorf in der Türkei aßen. Das Hauptgericht nennt sich Lepsi und ist ein Gemisch aus Reis, Hähnchenfleisch, Maismehl, Tomatenmark und natürlich Knoblauch, ähnlich einer Suppe, nur nicht so flüssig, eher breiartig, mit Stücken drin. Durch die Zutaten schimmert das Ganze orangefarben bis rötlich. In Großmutters Dorf war Lepsi ein typisches
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