Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

So wie ich will - Mein Leben zwischen Moschee und Minirock

Titel: So wie ich will - Mein Leben zwischen Moschee und Minirock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melda Akbas
Vom Netzwerk:
Religionen erst recht, obwohl Leon, soweit ich weiß, gar nicht religiös ist. Außerdem würden Deutsche ein anderes Temperament haben - womit er eigentlich keins meinte -, Alkohol trinken und keinen so ausgeprägten Sinn für Familie haben wie wir. Auch hier meinte er sicher etwas anderes, nämlich Großfamilie. Aber gut, jeder durfte seine Meinung sagen. Onkel Cemal schien es ziemlich schnuppe, dass Leon ein Deutscher war. Und Großvater beschäftigte, wie man aus dem ganzen Dilemma das Beste machen könnte. Ihn plagte sein Gewissen. Er mochte Leon, nahm aber auch die Traditionen sehr ernst. Bis er das Zauberwort aussprach: Beschneidung! Er war ganz aus dem Häuschen, so sehr schien ihn seine Idee zu begeistern. Das Nächste, was ihm über die Lippen kam, war eine Frage: »An welchen Arzt kann man sich da wenden, wer weiß das?« Es schien, als wäre er am liebsten sofort losgelaufen, um einen geeigneten Arzt ausfindig zu machen.
    Leon dachte natürlich nicht im Traum daran, seinen Penis verstümmeln zu lassen. So sagte er das zwar nicht, dachte
es aber, wie er mir später erzählte. Deniz wollte das auch nicht. Sie liebte ihn, wie er war. Also, nicht nur den Penis.
    Um es gleich vorwegzunehmen: Leons Gemächt wurde nicht angetastet. Er schaffte es auch ohne Operation, von allen akzeptiert zu werden, mehr oder weniger. Deniz und Leon waren vier Jahre zusammen, als sich die beiden verlobten. Das bedeutete zugleich, Leon durfte von da an unseren Familientreffen beiwohnen und auch seine Meinung kundtun wie wir anderen auch. Wobei das meistens daran scheiterte, dass der Arme kaum etwas von dem verstand, worüber wir uns unterhielten, da wir Türkisch sprachen. Ansonsten aber gehörte er praktisch dazu. Ich würde sogar behaupten, wir nahmen ihn herzlich auf. Onkel Cemal trieb seine Späße mit ihm, aber das bedeutete, dass er ihn mochte. Nur Großvater hatte am Anfang ein Problem. Nicht wegen der Beschneidung, die ausgefallen war. Leon schor sich damals seine Haare immer sehr kurz, das fand er einfach praktischer. Bei einem unserer Familientreffen nahm Großvater ihn beiseite und fragte ganz direkt: »Bist du Faschist?« Großvater spricht schlecht Deutsch, er musste sich aufs Wesentliche beschränken. Leon lachte, weil er die Frage nicht ernst nahm. Doch Großvater war es wichtig, er setzte mit ernster Miene nach: »Warum rasierst du immer deine Kopf ab?«
    Noch einmal fünf Jahre später kniete Leon vor Deniz nieder, mit einem Strauß roter Rosen in der Hand, und fragte, ob sie seine Frau werden wolle. Was für eine Frage - und ob sie wollte! Es störte sie auch nicht, dass er um ihre Hand angehalten hatte, wie das bei Deutschen üblich ist. Nach unserer Tradition hätten das seine Eltern bei ihren machen müssen. Aber ich kann verstehen, dass man das unnötig kompliziert findet.

    Ja, und der Rest, der ist erst vor wenigen Wochen geschehen: Es folgten zwei Junggesellinnenabschiede. Bei beiden waren sowohl Deniz’ türkische als auch ihre deutschen Freundinnen dabei, das gefiel mir. Der erste fand nach deutscher Tradition statt. Erst ein Essen, dann wurde Deniz ziemlich mit Alkohol abgefüllt. Auch ein Stripper durfte nicht fehlen. Und hinterher tanzten wir alle bis zum Morgengrauen in einem Club.
    Im Vergleich dazu lief die türkische Version, die wir Henna-Nacht nennen, äußerst gesittet ab. Das war nicht anders zu erwarten, da daran traditionell neben den Freundinnen auch die Großmütter, Mütter und Tanten von Braut und Bräutigam teilnehmen. Es gab keinen Tropfen Alkohol, und es war um einiges sentimentaler. Denn zur Henna-Nacht gehörte, dass zu fortgeschrittener Stunde der Bräutigam auftauchte, sich neben die Braut setzte und von uns allen tränenreich umtanzt wurde. Ohne Tränen geht das nie ab, weil man dabei ein altes türkisches Volkslied singt, bei dem man einfach heulen muss. Da stehen Sätze drin wie: »Ich vermisse meine Mutter, sowohl meine Mutter als auch meinen Vater. Ich vermisse mein Dorf … Hätte mein Vater doch ein Pferd, könnte er es besteigen und zu mir kommen. Hätte meine Mutter doch nur ein Segel, könnte sie es aufspannen und zu mir kommen. Würden meine Geschwister nur meine Wege kennen, könnten sie zu mir kommen …«
    Tante Nilüfer, Deniz’ Mutter, machte den Anfang, ihr kamen als Erste die Tränen. Dann Tante Ipek, Anne, irgendwann konnte ich auch nicht anders, obwohl ich das Lied bis dahin nicht sonderlich mochte. Die ganze Atmosphäre war einfach so, dass selbst die Augen

Weitere Kostenlose Bücher