So wie Kupfer und Gold
nicht entkam, lagen meine Zähne in ein paar Jahren ebenfalls in der Dose neben seinem Bett.
Mir blieb wenig Zeit. Trotzdem musste ich mir die Sache gut überlegen. Es wäre ein Fehler, einfach hysterisch wegzurennen.
Frauen für sich einzunehmen, bereitete Bernard keine Schwierigkeiten. Er sah so gut aus, konnte so charmant sein. Da selbst der Teufel nicht in seiner bekannten Gestalt mit Hörnern und langem Schwanz erscheinen würde, musste er attraktiv und charismatisch sein, um seine Beute anzulocken. Bei der Heirat sah Bernard das Schicksal seiner Frauen wohl noch nicht vorher. Ich nahm nicht an, dass er jetzt bereits vorhatte, mich zu töten. Seltsamerweise glaubte ich, dass er bei jeder Heirat auf eine glückliche Zukunft gehofft hatte.
Victoire wollte mit ihrem Geliebten fliehen. Vielleicht hatte Bernard sie dabei ertappt und war darüber verrückt geworden. Nein, noch während ich es dachte, lieà ich den Gedanken wieder fallen â die Geisteskrankheit hatte bereits von Geburt an in ihm gesteckt. Vielleicht waren die Samen nach dem Tod seines kleinen Sohnes aufgegangen und nach Victoires Verrat hatte das Ungeheuer dann die Ãberhand gewonnen. Er beobachtete und wartete und schlug dann zu. Weder Victoire noch ihr Geliebter noch ihre Zofe hatten das Gelände verlassen. In der Dose lagen sechs Zähne â vier von den Ehefrauen, einer von dem Geliebten, einer von einem Dienstmädchen.
Irgendwo auf diesem riesigen Besitz mussten die Leichen liegen.
Tatiana war angeblich im Kindbett gestorben, doch Ducky war nicht da gewesen, als es geschah. Ihr Mann hatte sie umgebracht und nicht eine schwere Geburt. Ich würde nie erfahren, was ihn zum Explodieren gebracht hatte â bei Bernards blitzschnellen Stimmungsschwankungen konnte e s alles Mögliche sein. Sie lag auf dem Friedhof bei der Kapelle begraben.
Von Tara hieà es, sie hätte sich selbst umgebracht, doch Ducky hatte sich gefragt, wie sie einen der mit Edelsteinen besetzten Dolche aus der Waffenkammer hatte benutzen können, wenn diese doch immer abgeschlossen war. Tara und Bernard hatten sich oft gestritten. Es wunderte mich nicht, dass sie nur ein Jahr hier überlebt hatte â inzwischen hatte Bernard ja Ãbung darin, seine Frauen loszuwerden. Sie wurde nachts auf demselben Friedhof wie Tatiana beerdigt.
Adele hatte länger mit ihm zusammengelebt. Bernard fu hr mit ihr zu einer »Heilquelle«, um etwas für ihre Gesundheit zu tun, doch sie kam als Leiche zur Abtei zurück.
Was wäre, wenn ich die Leichen von Victoire, ihrem Geliebten und ihrer Zofe finden könnte? Mein erschöpfter Geist arbeitete bei dem Gedanken wieder schneller. Falls ich sie fand, konnte ich mit etwas Glück auch beweisen, wie sie zu Tode gekommen waren. Und die Zähne? Auch sie waren Beweisstücke. Bei dem Gedanken, noch einmal in Bernards Zimmer zu gehen und sie zu holen, lief es mir kalt über den Rücken, aber es wäre ein kluger Schachzug. Mit den Zähnen als greifbare Beweisstücke und dem Wissen, wo die Leichen lagen, konnte ich zur Polizei gehen. Bernard würde vor Gericht gestellt und ich konnte entkommen und würde nicht von ihm verfolgt. Ich konnte zu Gideon gehen.
Das war es, was die Geister von mir wollten â die Welt sollte erfahren, wer ihr Mörder war. Bernard behauptete gern, das Schicksal hätte uns zusammengebracht, dass ich dazu »bestimmt« gewesen wäre, zu ihm zu kommen. Vielleicht stimmte es für diesen Zweck sogar. Es war seit Wochen das erste Mal, dass ich einen ganzen Tag lang nicht das kleinste Flimmern von den Geistern gesehen hatte. Vielleicht hatten sie sich zurückgezogen, da sie wussten, dass die Räder sich jetzt unaufhaltsam drehten und die Ereignisse nicht mehr aufzuhalten waren.
Oder sie ertrugen es nicht länger, zuzuschauen.
Falls die Leichen nicht im Wald verscharrt worden waren, schien mir die verschlossene Kapelle in dem verschlossenen Friedhof das naheliegendste Versteck zu sein. Sie entspräche den ȟbertünchten Gräbern« im Matthäusevangelium, die von auÃen wunderschön aussahen, innen aber voller Totengebeine waren. Ich wollte wenigstens einen kurzen Blick hineinwerfen, ehe ich die Flucht antrat. Während ich meine Pläne schmiedete, hörte das Zittern auf, das mich in dem Moment befallen hatte, in dem ich die Zähne erblickte. Wenn Tapferkeit von mir erwartet wurde, würde ich tapfer
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