So wie Kupfer und Gold
»Könnte ich dann bei den Nachbarn vorbeischauen? Ich würde gern ⦠ich würde wirklich gern â«
Ducky schüttelte energisch den Kopf. »Oh nein, Miss Sophia. Das wäre gar nicht gut. Es sähe so aus, als würden Sie dem Urteil des Masters nicht trauen. AuÃerdem sollte man als Neuankömmling nie zuerst einen Besuch abstatten. Das wissen selbst die Einheimischen.« Sie strahlte und es tröstete mich ein wenig. »Aber vergessen Sie nicht, vielleicht gibt es eines Tages ja einen Ball.«
Oh ja. Der angebliche Ball.
»Wann erwarten Sie Monsieur Bernard zurück?«, rief ich hinter ihr her, als sie weiterging.
»Er weiht uns nie in seine Pläne ein«, antwortete sie über die Schulter. »So hält er uns auf Trab.« Sie ging den Flur hinunter; offenbar hatte sie an diesem Tag keine Zeit, um mit mir zu plaudern.
Genau in diesem Augenblick kamen Charles und Talitha um die Ecke. Sie waren in ein ernstes Gespräch vertieft und wären fast in die Haushälterin hineingelaufen. Ihre Mienen nahmen sofort einen schuldbewussten Ausdruck an. Mrs Duckworth schnalzte ärgerlich mit der Zunge und scheuchte sie auseinander. Charles ging sofort mit schnellen Schritten in die eine Richtung, Talitha in die andere. Ich schaute ihnen nach.
Ich liebte Romanzen und diese beiden lieferten eindeutig Anschauungsmaterial. Sie achteten sorgsam darauf, niemanden merken zu lassen, dass sie sich gern hatten. Doch ich war stolz darauf, die Zeichen ihrer gegenseitigen Sympathie erkennen zu können. Wenn Talitha in Charlesâ Nähe war, wurden ihre Züge weich und warm, was sonst nie der Fall war. Sie lächelte und lachte sogar, während Charles in ihrer Gegenwart lebhafter war, sich mehr Mühe gab und erhitzte Wangen hatte. Auch wenn beide im selben Zimmer waren und keine Anstalten machten, sich einander zu nähern oder miteinander zu reden, fiel mir auf, wie oft sie zueinander hinschauten und wortlos miteinander kommunizierten.
Vielleicht konnte ich irgendwann ein Treffen zwischen ihnen arrangieren, offiziell, um mir bei diesem oder jenem helfen zu lassen, in Wirklichkeit jedoch, um ihnen gemeinsame Zeit zu schenken.
Mit einem leisen Seufzer ging ich ohne eigentliches Ziel weiter den Flur hinunter. Falls M. Bernard öfter weg sein sollte, würde ich vor Einsamkeit sterben. Es war, als sei ich nur in seiner Gegenwart wirklich lebendig.
Manchmal redeten und lachten die Dienstmädchen bei der Arbeit. Sobald ich das entsprechende Zimmer betrat, verstummten sie jedoch sofort und reagierten auf meine Versuche, eine Unterhaltung in Gang zu bringen, mit genuschelten Antworten und abgewandtem Blick. Sie hielten mich für ein albernes, dummes, ständig lächelndes Wesen. Manchmal begannen sie zu singen. Dann versteckte ich mich auf dem Flur und lauschte. Ich liebte ihre kräftigen, kehligen Stimmen und die getragenen Melodien. Während meiner ersten Tage hier waren sie lediglich ein Meer aus schwarzen Gesichtern. Jetzt konnte ich sie auseinanderhalten. Ich kannte einige Namen. Aber das spielte keine Rolle, denn für sie war ich die Fremde. Die verwöhnte WeiÃe. Vielleicht täuschte ich mich, aber diesen Eindruck hatte ich. Sie hatten sich und ich hatte niemanden. Nicht einmal mehr meine Familie. Nach den in der ersten Euphorie geschriebenen Briefen hatte ich keine mehr bekommen.
Die Stunden zogen sich hin und ich hatte Mühe, meine Tage auszufüllen. Wie ein Phantom schwebte ich umher und begann die verborgenen Winkel zu erforschen. Manchmal, wenn ich neu entdeckte Gänge hinunterschlich, kam ich mir plötzlich orientierungslos vor und fragte mich: Wo bin ich? Dann musste ich mich daran erinnern: Das ist Wyndriven Abbey. Dein Zuhause. Du gehörst hierher.
Ich gehörte immer mehr hierher, je vertrauter ich mit den nicht bewohnten Stockwerken und interessanten Winkeln wurde. Da die Abtei mit allem Drum und Dran über den Atlantischen Ozean geschafft worden war, gab es für mich viele Schätze zu entdecken. Truhen enthielten steifes, vergilbtes Leinen mit ungewöhnlichen, uralten Stickereien. Ich zeichnete die Muster ab, um sie später nachzusticken. In Schränken fand ich dies und das aus drei Jahrhunderten. Ich nahm einen kleinen Bronzeengel mit und stellte ihn in mein Zimmer. Ich fragte niemanden um Erlaubnis. M. Bernard wusste ja nicht einmal, dass er ihn besaÃ. Hier hatte ich weniger Schuldgefühle wegen meiner
Weitere Kostenlose Bücher