So wirst du stinkreich im boomenden Asien: Roman (German Edition)
bewusst, dass du dich, als sie heute Abend kommt, in ihr Tuch gehüllt, um eurem Sohn eine Gutenachtgeschichte vorzulesen und ihn ins Bett zu bringen, nicht nur wegen deiner Gefühle für den Jungen, die stark und wahrhaftig sind, an ihn klammerst, sondern auch, weil du in dem Moment, die Arme um euer Kind geschlungen, etwas hast, was sie will, eine kostbare Empfindung, eine, die du verlängern willst, und gleichzeitig traurig darüber bist, dich gar schämst, dass du sie einzig auf diese Weise hervorrufst.
In der Hoffnung, es könnte eine positive Wirkung auf die Beziehung mit deiner Frau haben, hast du vor einigen Monaten einen ihrer Brüder in deiner Firma eingestellt. Er gesellte sich zu einer schon recht ansehnlichen Schar Verwandter und Leuten aus dem Clan hinzu, die ihre Lohntüte dir verdanken, viele, auch ohne einen erheblichen Beitrag zu deinem Unternehmen zu leisten. Doch von Beginn an hoben ihn seine Klugheit und Bildung von den Übrigen ab, so sehr, dass du erwägst, ihn als potenziellen Stellvertreter heranzuziehen.
Mit ihm reist du auch, nachdem du von dem Bürokraten deine städtische Verkaufslizenz sowie deinen ersten Auftrag zur Steigerung des öffentlichen Wasservorrats erhalten hast, an die Küste, um deine Maschinen durch den Zoll zu bringen. Gemeinsam fahrt ihr zum Flughafen. Ein neuer Terminal steht gegenüber seinem Vorgänger auf der anderen Seite der Startbahn, auf ehemaligem Ackerland, das inzwischen innerhalb der Ringstraße liegt, umgeben von Wohnsiedlungen, Verteidigungsanlagen, als Slum klassifizierten Dörfern, Golfplätzen und hier und da einem heiß umkämpften Feld, das noch unbebaut ist und auf dem vereinzelt Senf, Weizen und Reis sprießen.
Wegen einer hypertrophen Mittelschicht, die sich aus dem ansonsten dürren Bevölkerungskörper wie der überentwickelte Bizeps eines Teenagers wölbt, hat es eine Zunahme des Luftverkehrs gegeben, eine Nachfrage, die die staatliche Fluggesellschaft einfach nicht mehr bedienen kann. Um einen Flug zu der von dir gewünschten Zeit zu bekommen, nimmst du eine von mehreren willkürlich kontrollierten Privatlinien. An Bord fällt es dir schwer, die wahrscheinlich militärische Herkunft der Maschine zu ignorieren, die sich unter anderem in den merkwürdig geformten Triebwerksgondeln und der aufklappbaren Rampe am Heck zeigt, die vielleicht geeignet ist, Haubitzen oder Schützenpanzer aufzunehmen. Du hattest schon immer eine fatalistische Haltung gegenüber dem Fliegen, doch als Vater missfällt dir die Vorstellung, deinen Sohn schon so früh zu verlassen, eine Möglichkeit, hervorgerufen in deiner Fantasie durch ruckelnde Vibrationen, die beim Aufstieg durch den Rumpf dröhnen.
Dein Schwager ist sichtlich begeistert, er freut sich, Business Class zu fliegen und in ein schickes Hotel gebucht zu sein. Er ähnelt deiner Frau, ist allerdings eine feiste, gedrungene, schnurrbärtige Version von ihr. Er ist deine Frau mit komprimierter Größe, erweiterter Tiefe und Breite und maskulinisiert wie von einem Computerprogramm im digitalen Spiegelkabinett eines Wissenschaftsmuseums. Er hat denselben hellen Teint und den sinnlichen Mund, dieselben sprachlichen Ticks. Ohne dass du dir dessen bewusst bist, hast du dir gestattet, ihn zu mögen, aber nicht wegen der Substanz seines Charakters, sondern wegen seines getreuen Abbilds.
Beim Verlassen der Gepäckausgabe nach der Ankunft schlägt euch ein Schwall heißer Meeresluft ins Gesicht, was dich wie immer erregt, da dieser Ort deiner Einschätzung nach mit Geld, mit der großen Welt verbunden ist. Um dich herum drängen sich Menschen, die vielfältiger sind, als du sie zu Hause siehst, ihre Sprachen verschiedenartiger, ihre Haut, Lippen und Haare zeugen von breiteren geografischen Evolutionsbahnen. Sie wurden zu dieser kolossalen Stadt durch den Handel angezogen, der mit ihrem Hafen verknüpft ist, dessen Netz aus Schifffahrtsrouten das boomende Asien mit Afrika, Ozeanien und darüber hinaus verbindet, und auch durch ihre Gravitation, die Kraft, die ihre schiere, schwindelerregende Größe ausübt.
In einer Limousine saust ihr zu eurem Hotel in einem eleganten Viertel, wo sich Konsulate und die Büros von Multis ballen, vereint durch die Kolonialgeschichte und auch durch einen relativ schnellen Zugang zur Evakuierung per Schiff, sollte es erforderlich werden. Hoch oben in deinem Zimmer blickst du aufs Meer, das dich fasziniert, einen Mann aus dem fernen Flachland, wie seine durchbrochene Weite das Licht
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