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Socrates - Der friedvolle Krieger

Titel: Socrates - Der friedvolle Krieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Millman
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wissen nicht, welchen spirituellen Sinn deine Anwesenheit hier hat. Da du anscheinend einem inneren Ruf folgst, darfst du eine Zeit lang bleiben, wenn du bereit bist zu dienen. Bist du dazu bereit?«
    »Ja, das bin ich.«
    Bruder Jewgeni nickte zufrieden und fuhr dann fort: »Da du im Winter nicht draußen leben kannst, darfst du in der Einsiedelei Sankt Awram Rostow leben und arbeiten. Die Einsiedelei liegt etwa fünf Kilometer südlich von hier und ist von der Hauptinsel durch einen kleinen Kanal getrennt.«
    »Ich weiß, wo das ist«, antwortete Sergej.
    »Gut.« Wieder nickte der Mönch, dann fuhr er fort: »Du darfst dort ein paar Tage lang bleiben. Wenn der Älteste zurückkehrt, darfst du ihn um Erlaubnis bitten, zu bleiben und den Brüdern zu dienen. Erteilt er dir die Erlaubnis nicht, musst du die Insel schnellstmöglich verlassen. Denn in ein paar Wochen werden die Winterstürme und das Eis es unmöglich machen, vor dem Frühjahr hier fortzukommen.«
    Sergej hatte noch eine Frage. »Dieser Vater, den ich um Erlaubnis fragen soll. Wie heißt er?«
    »Vater Seraphim«, antwortete der Mönch, nickte Sergej zu und ging.
    Sergej suchte seine Sachen zusammen, verwischte alle Spuren des Lagers und wanderte südwärts zur Felsküste, wo er die in den Stein gehauenen Stufen hinunterging und von einem Kutter über den Kanal gebracht wurde. Er kam am späten Nachmittag an, als sich die Mönche für ihr mehrstündiges Gebet in ihre Zellen zurückgezogen hatten. Sergej wanderte leise durch die Gebäude, durch die leere Küche und die verlassenen Gänge. Als er in den leeren Gemeinschaftsraum kam, dachte er, dass dies ein guter Ort und eine gute Zeit sei, um etwas zu trainieren.
    Am fünften Tag seines Aufenthaltes fragte Sergej, während er einen Moment lang mit dem Fegen und Putzen aufhörte, einen der Brüder, wann er mit Vater Seraphim sprechen könne.
    »Er sollte in ein paar Tagen wieder da sein«, informierte ihn der Mönch und wandte sich wieder seinen Pflichten zu. Sergej putzte weiter, bis sich die Mönche wieder zurückzogen und es Zeit für sein Training war.
    Im schwachen Licht des Nachmittags kam Sergej auf seinem Weg zum Gemeinschaftsraum an der leeren Zelle von Vater Seraphim vorbei. Neugierig spähte er in den dunklen Raum hinein. Außer einem kleinen Tisch und einem Stuhl sah er keine weiteren Möbel. In einer Ecke, wo normalerweise das Bett stehen sollte, stand ein offener Sarg.
    Sergej liefen kalte Schauder den Rücken herunter und er machte sich schnell auf den Weg in den Gemeinschaftsraum, während erste Donnerschläge den herannahenden Sturm ankündigten. Die Stille, die im Inneren von Sankt Rostow herrschte, war so intensiv, dass Sergej seine eigene Atmung unnatürlich laut vorkam. Das schwache Tageslicht verlieh dem Ganzen eine traumgleiche Qualität.
    Als Sergej sich aufgewärmt hatte und Tritte und Faustschläge übte, erschien im schwach erleuchteten Türrahmen eine Gestalt mit einer Kerze in der Hand. Ihr plötzliches Auftauchen verblüffte Sergej, der in der Gestalt Vater Seraphim erkannte. Sergej wollte ihn ansprechen, konnte aber zu seiner Überraschung keinen Ton hervorbringen.
    Die Ruhe, die der alte Mönch ausstrahlte, und die Art, wie er dastand, erinnerte Sergej an einen Schneeleoparden, der kurz davor ist, sich auf seine Beute zu stürzen. Als ein Blitz den Raum plötzlich mit seinem grellen Licht erhellte, verwandelte sich das Gesicht des Mönchs für einen Augenblick in einen grinsenden Totenschädel mit einem Kranz aus wirrem weißen Haar, der Sergej aus leeren Augenhöhlen anstarrte.
    Von plötzlicher Todesfurcht gepackt konnte Sergej den Blick nicht von dem Schädel abwenden, bis Vater Seraphim die Kerze in die Höhe hielt und Sergej in ihrem Schein wieder das friedliche Gesicht des alten Mönchs sah. Im nächsten Augenblick war der Türrahmen leer. Es war nicht so, dass sich der Vater umgedreht hätte und gegangen wäre, er war einfach weg. In einer Sekunde hatte er dagestanden, in der nächsten war er verschwunden. Auch hatte Sergej keine Schritte gehört.
    Ich muss wohl für einen Augenblick die Augen geschlossen oder weggeschaut haben , versuchte er sich selbst einzureden. Nur konnte er sich nicht daran erinnern, es wirklich getan zu haben.
    Zwei Stunden später, als derselbe Raum von weichem Kerzenlicht erhellt wurde und Sergej den sechs hier lebenden Brüdern die Abendmahlzeit servierte, erwartete er, Vater Seraphim zu sehen, aber dessen Platz blieb leer.
    Nachdem das

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