Söhne der Erde 04 - Tage Des Verrats
hatte sich von Neugier leiten lassen, von dem Impuls zu helfen - von Gefühlen statt von ihrem Verstand. Lächerlich, fast schon schlimmer als das! Sie versuchte, sich die Schwierigkeiten vorzustellen, die auf sie warteten, wenn sie aus dieser Falle wieder herauskam. Psychiatrische Behandlung war das mindeste. Wenn sich Menschen mit einem so hohen Intelligenz-Quotienten wie dem ihren derartige Fehlleistungen erlaubten, mußte ein psychischer Defekt dahinterstecken. Das war gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis; das war auch ihr bisher immer logisch und einleuchtend erschienen. Nur brachte sie es nicht über sich, ihre eigene Psyche als behandlungsbedürftig zu sehen, und schließlich verließ sie die Kabine, weil sie das Gefühl hatte, dringend frische Luft zu brauchen.
Draußen hatte sich wenig verändert.
Die Priester in ihren staubigen, zerrissenen Roben drängten sich in einer Mulde zwischen den Felsen zusammen. Über dem letzten noch brennenden Feuer bereiteten Frauen eine Mahlzeit mit Nahrungsmitteln aus den staatlichen Zuchtanstalten. Lara sah interessiert zu. Für einen Moment amüsierte sie der Gedanke, daß sie selbst all diese sorgfältig gezüchteten Produkte zwar im Labor analysieren, aber bestimmt nichts Eßbares daraus herstellen konnte.
Sie sah sich um, doch sie stellte schnell fest, daß es keine Chance gab, von hier zu entkommen.
Ohne Fahrzeug hätte sie es ohnehin nicht geschafft, und das einzige Fahrzeug wurde bewacht. Lara fragte sich, wo der Polizeijet geblieben war, den sie außerdem noch gesehen hatte. Er mußte unterwegs sein. Und da sie Charru von Mornag nirgends entdeckte, war er es wohl, der den Gleiter lenkte. Um irgend etwas zu unternehmen, das dem wahnwitzigen Plan diente, das Raumschiff zu starten? Lara schüttelte den Kopf. Sie wußte, daß es unmöglich war. Jeder Bürger der Vereinigten Planeten hätte es gewußt, und sie konnte sich einfach nicht vorstellen, daß die Barbaren es nicht wußten.
Wie verzweifelt mußten sie sein, wenn sie es trotzdem versuchten!
Laras Blick glitt über eine Gruppe von Kindern und Halbwüchsigen, die in den Felsen hockten und die Köpfe zusammensteckten. Der Junge mit dem Namen Derek redete auf sie ein. Ab und zu wanderten seine hellen Augen zu dem staubigen, halb wracken Metallgiganten hinüber. Und in diesen leuchtenden Augen lagen so viel Bewunderung, so viel Begeisterung und Hoffnung, als sehe er kein altes Raumschiff vor sich, sondern eine schimmernde, märchenhafte Vision der Schönheit.
Lara schüttelte den Kopf und wandte sich wieder der Einstiegsluke zu.
Sie fühlte sich unbehaglich unter all den Blicken.
Als sei ich ein Ausstellungsstück, ein exotisches Exemplar, dachte sie zornig. Und dann biß sie sich heftig auf die Lippen, weil ihr einfiel, wie sie selbst einmal vor der Kuppel des Mondstein gestanden und auf das Gewimmel der winzigen Spielzeug-Figürchen hinuntergestarrt hatte - ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, daß es lebendige, fühlende Menschen waren.
In der Schleuse stieß sie fast mit einer hohen, hageren Gestalt zusammen.
Die düsteren Augen in dem starren Gesicht ließen sie einen Schritt zurückweichen. Der Priester, der Mircea Shar genannt wurde! Priester, wiederholte sie in Gedanken. Einer von denen, die in ihrem Tempel unter dem Mondstein blutige Rituale gefeiert und Menschenopfer gebracht hatten.
Opfer für ihre Götter.
Für marsianische Wachmänner in lächerlichen Verkleidungen, mit ein paar technischen Tricks in brüllende, blitzeschleudernde Ungeheuer verwandelt...
Lara wollte sich rasch an dem Priester vorbeidrängen, doch er hob die Hand. Offensichtlich wagte er nicht, sie zu berühren. Schweiß stand auf seiner Stirn, und einen Augenblick glaubte sie, daß er vielleicht immer noch krank sei.
»Kann ich dir helfen?« fragte sie.
Er nickte. »Ja... « Dabei sah er sich hastig um, aber niemand anders war in der Nähe.
»Und womit?«
»Ist es möglich, mit - mit deinen Freunden zu sprechen?« fragte er unsicher. »Mit den Mächtigen? Den Herren dieses Planeten?«
»Warum?«
Sie wußte selbst nicht, weshalb sie diese Frage stellte. Worum es ging, war klar: diese sogenannten Priester suchten Verbündete, um die alten Machtverhältnisse aus der Welt unter dem Mondstein wiederherzustellen. Charru von Mornag hätte wohl den pathetischen Ausdruck »Verrat« dafür benutzt. Lara unterdrückte ein nervöses Auflachen, weil ihr bewußt wurde, daß sie es vorhin in Gedanken ebenfalls als
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