Söhne der Erde 17 - Gefangene Der Zeit
freigab. Licht schimmerte dahinter. Der gelblich-fahle Schein von Kunstlicht. Cris zuckte wie unter einem Hieb zusammen, als er die Gestalt erkannte, die sich von dem hellen Viereck abhob.
Ein Mann.
Mittelgroß, hager, in eine komplizierte, unpraktisch aussehende Zusammenstellung von Kleidungsstücken gehüllt. Er trug etwas, schleppte es mühsam mit beiden Händen, da es ziemliches Gewicht hatte. Zielstrebig ging er an der Felswand entlang, und im Mondlicht konnte Charru ein geflochtenes Netz erkennen, das Knochen und große Fetzen von rohem Fleisch enthielt.
Sein Herzschlag setzte aus.
Eine halbe Sekunde lang überstürzten sich seine Gedanken, dann hatte er die Erklärung. Er wartete, bis der Fremde zwischen ein paar Baumstämmen verschwand. Cris zitterte spürbar.
»Was war das?« hauchte er. »Was, um Himmels willen, tut er da?«
»Der Panther!« flüsterte Charru zurück. »Sie müssen den Panther füttern, weil sie ihn irgendwie dazu gebracht haben, nicht mehr seinen Instinkten zu folgen und auf Raub auszugehen.«
Cris schluckte.
Zwischen den Büschen konnten sie die Schritte des Fremden hören. Charru überlegte fieberhaft. Durch das offene Tor in das unterirdische Versteck eindringen? Oder die anderen alarmieren, den Platz umstellen und warten, bis sich das Tor von neuem öffnete? Er wußte nicht, wie oft ein Panther gefüttert werden mußte. Niemand konnte wissen, ob die Fremden nicht vielleicht die Insel beobachteten, ob es eine Alarmvorrichtung gab für den Fall, daß sich jemand von außen an den Felsen zu schaffen machte ...
»Ich gehe hinein«, unterbrach Cris' tonlose, entschlossene Stimme seine Gedanken.
»Du bist wohl ...«
Cris ließ sich nicht halten.
Er rannte bereits: geduckt, mit der katzenhaften Schnelligkeit, die er seiner Abstammung verdankte. Charru zerbiß einen Fluch. Er wußte, er konnte den Jungen nicht mehr einholen. Alleinlassen durfte er ihn auch nicht, und ein lauter Ruf verbot sich von selbst, weil er den Fremden aufmerksam machen würde. Schon hatte Cris das helle Viereck fast erreicht. Charru grub die Zähne in die Unterlippe, löste sich aus dem Schatten des Dickichts und huschte so lautlos wie möglich über die Lichtung.
Dabei hatte er das fatale Gefühl, daß er einen Fehler machte, den er noch bereuen würde.
*
Der Mann, der die Fleischration für den zahmen Panther am üblichen Platz niedergelegt hatte, bemerkte nichts Ungewöhnliches.
Vor den angriffslustigen Katzen brauchte er sich nicht zu fürchten: sie waren so konditioniert, daß sie dem Geruch bestimmter Chemikalien auswichen. Der Mann lächelte triumphierend. Am Anfang hatte er nicht geglaubt, daß der Plan durchführbar sei. Inzwischen wußte er, daß die Methode funktionierte. Und jetzt stand das letzte, entscheidende Experiment bevor. Das letzte Experiment - und die letzten Vorbereitungen für den Tag X, für den großen Schlag.
Mit gedämpftem Knirschen schloß sich das Tor im Felsen.
Von innen schimmerten Gleitschienen und Stahlplatten im Neonlicht, und die Kontrollampen eines kleinen Schaltfeldes glommen. Der Gang selbst, der leicht abfallend ins Inselinnere führte, war natürlichen Ursprungs. Ein Laufband bewegte sich surrend über den holprigen Boden. Der Mann löste eine Batterielampe von seinem Gürtel und ließ sie aufflammen, weil in diesem Teil der unterirdischen Festung darauf verzichtet worden war, Beleuchtungsanlagen zu installieren.
Knapp zehn Minuten später passierte der Mann eine Schleuse und betrat den hellen, gewölbten Metallgang dahinter.
Links und rechts standen Türen offen. Männer saßen an Kontrollpulten, bedienten Instrumente, überprüften technische Funktionen. Der Teil der Anlage, der im Laufe der Nacht aktiviert werden sollte, war bisher nur zu Testzwecken benutzt worden. Aber er würde perfekt arbeiten, so wie alles perfekt arbeitete, was Jordan Magners geniales Hirn ersonnen hatte.
Magner stand in der Computerzentrale, wo die Fäden zusammenliefen. Der Mann, der draußen gewesen war, grüßte respektvoll. Jordan Magners Blick streifte gleichgültig über ihn hinweg. Der Mann schauerte, als er die metallische, schneidend scharfe Stimme des anderen hörte.
»Keine Schwierigkeiten, wie erwartet. In spätestens einer Stunde dürfte alles bereit sein.«
Charru atmete langsam aus.
Das surrende Laufband war stehengeblieben. Nur unmittelbar an der Innenseite des Tors brannte Licht und warf seinen Widerschein in den Gang. Schwacher Widerschein glücklicherweise.
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