Söhne der Erde 19 - Der Tödliche Ring
auf den weißen Schalensitz sinken.
Charru setzte sich ebenfalls. Er wußte, daß sein Freund Schwäche und Erschöpfung mit Absicht übertrieb. Sie waren beide nicht gefesselt worden. Der marsianische Kommandant lächelte. Aus einem Automaten an der Wand holte er zwei Becher mit einem rötlichen Getränk, mit einem Knopfdruck ließ er eine Art Tisch ausklappen. Offenbar war er entschlossen, es zunächst einmal mit freundlichem Entgegenkommen zu versuchen. Was vermutlich hieß, daß er entweder keine Wahrheitsdrogen zur Verfügung hatte oder daß die Gefangenen bei der Entseuchungs-Prozedur schon mit so vielen anderen Medikamenten traktiert worden waren, daß sie nicht noch mehr verkraften konnten. Charru nahm einen tiefen Schluck von dem kalten, erfrischenden Getränk. Er glaubte nicht, daß es irgendwelche Chemikalien enthielt. Das hätten ihre Gegner einfacher haben können.
»Sie sind der - eh - Fürst von Mornag, ja?« fragte Coradi etwas unsicher.
»Ja.«
»Sie sind mit Ihren Leuten der nuklearen Explosion entkommen?« Also wußten sie tatsächlich, daß die Priester für den Abwurf der Atombombe verantwortlich waren.
»Ja«, wiederholte Charru. Den Marsianern würde es ohnehin nicht schwerfallen, sich über diesen Punkt Klarheit zu verschaffen, und schließlich war er mit Camelo hierher geflogen, um mit ihnen zu reden. Aber da hatte er noch nichts über die Operation »Tödlicher Ring« gewußt, fügte er in Gedanken hinzu. Jetzt gab es nichts mehr zu reden. Nicht, wenn der Mediziner die Wahrheit gesagt hatte.
»Wo halten sich Ihre Freunde jetzt auf?« stellte John Coradi die nächste Frage.
Charru schwieg. Camelo hatte den Kopf zurückgelehnt und hielt die Augen halb geschlossen, als sei er noch nicht richtig bei Bewußtsein. Der Marsianer sah von einem zum anderen. Flüchtig zuckte der Ausdruck von Ärger über sein Gesicht. Doch die Frage interessierte ihn ihm Augenblick offenbar erst in zweiter Linie.
»Die Atombombenexplosion hat den Berg aufgerissen««, sagte er langsam. »Sind Sie darüber informiert, daß dort eine Art - unterirdischer Anlage existiert?«
»Ja.«
»Tatsächlich?«
Charru nickte. Seine Stimme klang bitter. »Tatsächlich. Wir waren sogar dort drinnen, haben mit den Clones gesprochen ...«
»Woher wollen Sie wissen, was Clones sind?« fragte Coradi mit hochgezogenen Brauen.
Charru ignorierte den abfälligen Ton. »Man hat es mir erklärt. Diese Menschen haben in ihrem Schattenreich die Große Katastrophe überlebt. Da sie Probleme mit der Energieversorgung hatten, mußten sie lernen, in Kälte und fast völliger Dunkelheit zu existieren. Sie mußten es schneller lernen, als das auf dem Weg der natürlichen Anpassung möglich war. Also griffen sie zur Methode des Cloning und erzeugten durch genetische Manipulation jahrhundertelang immer nur Duplikate derjenigen Menschen, die sich den Bedingungen am besten angepaßt hatten.« Er machte eine Pause, und sein Blick ging sekundenlang ins Leere. »Bis es kein Zurück mehr gab«, fügte er hinzu. »Bis ihr Volk aus Einheitsmenschen bestand, die das Tageslicht nicht mehr ertragen konnten und die sich selbst für immer zu einem Leben im Dunkel verurteilt hatten. Eine sterbende Rasse. Wir haben das Tal verlassen, weil wir sie durch unsere Anwesenheit nicht in Gefahr bringen wollten. Vergeblich ...«
Coradi schwieg.
Die drei anderen Marsianer hatten sich halb von ihren Instrumenten abgewandt und gebannt zugehört. Selbst in dem glatten Gesicht des Wachmanns zeichnete sich eine Spur von Bewegung ab.
Weil sie sich den Clones mit ihrer hochentwickelten Wissenschaft und Technik verwandt fühlten?
Oder weil sie etwas von dem Schauer spürten, den die Terraner bei der Erkenntnis empfunden hatten, wohin wissenschaftlicher Fortschritt führen konnte.
Coradi fuhr sich mit der Hand über die Stirn.
»Phantastisch«, murmelte er. »Eine unglaubliche wissenschaftliche Leistung! Und das alles ausgelöscht von ein paar primitiven Barbaren-Priestern, die ...«
»... die dem Haß folgen, den eure sogenannten Friedensforscher ihnen eingeimpft haben«, vollendete Charru kalt. »Sie sind weniger schuldig als ihr. Und sie sind menschlicher. Selbst ihr verblendeter, maßloser Haß ist immer noch menschlicher als eure Computer-Logik.«
Der Marsianer runzelte die Stirn.
Sein Blick verriet, daß Charru genausogut in einer fremden Sprache hätte reden können. Coradi schüttelte den Kopf und straffte sich. Er wollte eine weitere Frage stellen, aber im
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