Söhne der Erde 22 - Flug der Verlorenen
etwas mußte er ohnehin tun, wenn er nicht zwischen den Felsen liegenbleiben, verdursten oder spätestens in der kommenden Nacht erfrieren wollte.
Das Notsignal abfeuern, sich von den Marsianern aufsammeln lassen - vielleicht wäre das am vernünftigsten gewesen, aber Beryl brachte es nicht fertig. Wenn sich Charru und Mark ergeben hatten, dann bestimmt nur, um die Frauen und Kinder zu retten, für die das Höhlensystem zur tödlichen Falle geworden war. Jemand mußte einen Fehler gemacht, mußte etwas falsch berechnet haben. Dane Farr, der die Höhlen für sicher hielt? Oder sie alle? Weil es in Wahrheit nie eine Chance gegeben hatte? Weil die Hoffnung, den Angriff zurückschlagen zu können, von Anfang an nur eine lächerliche Illusion gewesen war?
Beryl grub die Zähne in die Unterlippe und stemmte sich mühsam hoch.
Sein ganzer Körper schmerzte. Die Knieverletzung, konnte nicht einmal so schlimm sein, da sie es ihm gestattete, wenn auch mühsam hinkend vorwärts zu kommen. Er wußte, daß er ein paar Rippen gebrochen hatte und daß die Übelkeit, die ihn würgte, von einer Gehirnerschütterung herrührte. In diesem Zustand war es nahezu unmöglich, die andere Seite des Planeten zu erreichen. Aber wenn er nicht sterben oder in Gefangenschaft geraten wollte, blieb ihm nichts übrig, als es zu versuchen.
Vielleicht konnte er in der Nähe der zerstörten Höhlen einen Gleiter erwischen.
Vielleicht schaffte er es sogar, ein paar von seinen Freunden zu befreien. Oder nein: dann würde man sie jagen. Und wenn es überhaupt noch eine Chance gab, lag sie in der Tatsache, daß die Marsianer nichts von den Fernlenk-Raketen ahnten.
Sieben Mann waren besser als nichts.
Sie hatten schon mit kaum mehr Leuten einen ausgewachsenen Kampfkreuzer gekapert. Es mußte eine Möglichkeit geben, das Blatt noch einmal zu wenden. Es mußte, mußte...
Beryl war sich nicht bewußt, daß Schmerz und Fieber seine Gedanken verwirrten.
Taumelnd schleppte er sich weiter, bewegte sich von Deckung zu Deckung, starrte immer wieder aus brennenden Augen zum Zentrum der Ebene hinüber, wo jetzt nur noch die hochragenden Schiffe die Anwesenheit der Marsianer verrieten. Am Himmel schien die Sonne wie weißglühendes-Metall auseinanderzufließen. Beryl stolperte, stürzte, raffte sich verbissen wieder auf. Sein Herz pochte in schweren, dumpfen Schlägen gegen die Rippen, und im gleichen Rhythmus hämmerten seine Gedanken.
Merkuria...
Er mußte Merkuria erreichen, die Siedlung, die Raketenbasis... Er mußte weiter... Zu Mikael und den anderen... Weiter, weiter...
Als er das nächste Mal stürzte, knickten seine Arme ein, und er schlug mit der Stirn gegen eine Steinkante.
Für Minuten verlor er das Bewußtsein.
Einmal kam er halb zu sich, stemmte sich hoch, aber Schwäche und Schmerz waren so überwältigend, daß er sofort wieder zurücksank. Wie ein dunkler Sog zerrte die Ohnmacht an ihm, ließ ihn in Schwärze und gnädige Empfindungslosigkeit tauchen, um ihn wenig später wieder an die Oberfläche zu schleudern. Ihm war zumute, als treibe er in einem roten Lavasee. Eine Weile ausruhen... Neue Kraft sammeln... Gleich würde er es schaffen, auf die Beine zukommen. Gleich...
Das dumpfe Tappen und Schaben drang wie aus weiter Ferne in sein Bewußtsein.
Er wußte nicht, was es war, überlegte mit geschlossenen Augen, wo er es schon einmal gehört hatte. Weder ein landendes Beiboot noch Stiefeltritte... Für die Marsianer bestand kein Grund, die Ebene zu durchkämmen. Hier gab es nichts. Nur Hitze, Staub, ein paar herumstreifende Drachenkamm-Echsen...
Beryls Muskeln verkrampften sich.
Jetzt wußte er, wo er die Geräusche schon einmal gehört hatte. Klauenbewehrte Gliedmaßen, die sich schwerfällig ihren Weg durch die Felsenwildnis suchten! Schuppenpanzer, die mit trockenem Reiben über Steine streiften! Beryl war nicht dabeigewesen, als die Echsen während der Vorbereitungen für die Sprengung angriffen. Aber er hatte eine der monströsen Bestien gesehen, als sie sich die Ebene anschauten, wo der See freigesprengt werden sollte. Er hatte das unheilvolle Tappen und Schaben aus der Ferne gehört - und jetzt hörte er es in unmittelbarer Nähe.
Furcht ballte sich in seinem Magen zusammen.
Behutsam hob er den Kopf, achtete nicht auf den pochenden Schmerz, der sofort wieder einsetzte. Hitze flimmerte über den Felsen. Jenseits eines scharfen Grats wirbelte eine dünne gelbliche Staubwolke hoch, und Sekunden später schob sich der gewaltige
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