Söhne der Luna 1 - Im Bann des Wolfes
erst einmal damit angefangen, konnte sie nicht mehr aufhören. Abermals hielt sie Saint-Germain ihr Glas hin, trank noch mehr Wermut mit einem Schuss Anis, ehe sie ihr größtes Unglück beim Namen nannte.
»Wir wollten heiraten.«
Noch immer hatte sie das dunkle Feld und den Kampf der Bestien vor Augen und verlor das Zeitgefühl. Es mochten Minuten oder nur ein Herzschlag vergangen sein, ehe Mica das Wort an sie richtete.
»Du kannst dich nicht an einen Mann binden, der Monat für Monat zu einem Untier wird. Bei jedem Alpha besteht die Gefahr, dass er dem Fluch der Bestie erliegt und wahllos zu morden beginnt. Keiner seiner Art ist vor diesem Schicksal gefeit. Diese Wahrheit hat er dir vorenthalten. Es sollte dir zu denken geben. Willst du jede Nacht an seiner Seite liegen in dem Bewusstsein, was er ist und was er an Unheil über die Menschheit bringen kann?«
»Aber Cassian würde niemanden willentlich, gar ohne Grund verletzen.«
Sie hätte energischer klingen sollen, konnte es jedoch nicht. Einer Antwort auf Micas Frage war sie ausgewichen, weil sie nicht länger wusste, was richtig und was falsch war.
»Die Bestie ist nicht Cassian. Sie ist nicht einmal der Werwolf. Sie empfindet nichts, außer dem Verlangen zu töten und kennt nichts, außer ihrer Gier nach dem Fleisch und Blut ihrer Opfer. Kind, ich bitte dich inständig, nimm Vernunft an und vergiss mit ihm alles, was du heute Nacht hast sehen müssen. Ich werde dir dabei helfen.«
In Micas Zügen forschte sie nach der Wahrheit. Ein makelloses Gesicht, erstarrt in ewiger Jugend. Er wirkte rührend jung, das Türkis seiner Augen wiederum sehr alt. Es war ein entsetzlicher Gegensatz. Gewiss konnte er ihr helfen. Ihm schien nichts unmöglich. Trotzdem wollte sie nicht auf ihn hören. Diese Nacht wollte sie vergessen, hingegen keinen der Tage und Nächte, die sie zuvor mit Cassian verbracht hatte. Sie wärmten auch jetzt noch ihr Herz.
»Durchlaucht, sobald Cassian de Garou erfährt, wer Ihr seid, wird er ohnehin sein Versprechen zurücknehmen«, mischte sich Saint-Germain ein. Was sagte er da? »In Euch fließt das Blut des alten Volkes, und dieses ist allen Werwölfen verhasst. Seine Sippe ist alt, und was immer es ihn kosten mag, er würde nicht wagen, ihnen Schande zu machen. Die Ehre ist einem Werwolf mithin das Wichtigste. Keiner von Ihnen würde auch nur mit dem Gedanken spielen, eine Verbindung mit einem Vampir einzugehen.«
»Aber ich bin kein Vampir.«
»Er wird sich von dir abwenden, Kind. In dir steckt viel von deiner Großmutter Selene. Sie ist eine Lamia und direkter Spross aus der Linie der Mechalath. Die Anzahl der Werwölfe, die sie töten wollten und dabei ihr Leben ließen, gehen in die Hunderte. Und was mich betrifft, nicht umsonst bin ich der Großmeister der europäischen Vampire.«
Zu gern hätte sie etwas dagegengehalten, doch das Wermut-Anis-Gemisch vernebelte ihre Sinne und der Pfeifton in ihren Ohren erschwerte das Denken. Zwischen ihr und allem anderen schien eine Kluft zu entstehen, die immer größer wurde. Alles, woran siegeglaubt hatte, war ihr plötzlich fremd. Cassian, die Welt, aus der sie kam und sogar sie selbst. Es gab keine Sicherheit mehr, nichts worauf sie sich verlassen konnte.
»Ich bin zu müde, um darüber nachzudenken.«
»Du solltest schlafen, Kind. Morgen wird alles anders sein. In diesem Haus gibt es alles, was du dein Leben lang entbehrt hast, und es gehört dir.«
Fürwahr an Prunk war alles vorhanden. Saint-Germain hatte ihr versprochen, sie dem König vorzustellen und bei Hofe einzuführen. Dort konnte sie dann glänzen bis ans Ende ihrer Tage. Einzig die Liebe würde sie dort nicht finden.
»Gute Nacht«, murmelte sie und schlurfte aus dem Raum, zu einem Bett, nach dem sie sich trotz ihrer Erschöpfung nicht sehnte, weil es kalt und einsam sein würde.
Mica wartete, bis Florines Schritte im Haus verklungen waren, ehe er sich an Saint-Germain wandte. »Sie wird ihn nicht wieder sehen, Aymar. Morgen konfrontiere ich ihn mit den Tatsachen, damit diese leidige Angelegenheit ein Ende hat. Er weiß noch nicht, dass Florine in meine Obhut zurückgekehrt ist. Du wirst ihm eine Note von mir überbringen.«
Auf ein neuerliches Aufflammen des alten Krieges hatte Saint-Germain in den letzten Wochen hingearbeitet. Nun rieb er sich die Hände.
»Dem Werwolf steht eine bittere Niederlage bevor, Goldener.«
»Unendlich bitter, davon kannst du ausgehen. Werwölfe reagieren empfindsam auf den Verlust
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