Söhne der Luna 1 - Im Bann des Wolfes
Geheimnis.« Seufzend betupfte sie Aimées Brustspitzen mit Goldpuder. Es war bedauerlich kein Geheimnis zu haben. Anderen Frauen gingen sie nie aus. Ohne jedes Geheimnis zu sein, war geradezu schändlich, insbesondere da der Mann, der ihre Gedanken beherrschte, mehr als eines zu besitzen schien. Sie zählte bereits die Stunden, bis sie ihn wiedersah, und obwohl sie genug Ablenkung hatte, vergingen sie viel zu zähfließend. Sie hatte schon wieder vergessen, worüber Aimée sprach, da sie anstelle einer von Goldpuder überstäubten Haut Cassians Mund vor sich sah. Sie schrak zusammen als Aimée fortfuhr.
»Saint-Germain wollte wissen, wie es dir gelingen konnte, die schweren Eisenringe aus ihrer Verankerung zu lösen. Er nannte es ein Akrobatenstück. Scheinbar traute er dir so viel Geschick nicht zu.«
»Es gibt Situationen, in denen ein Mensch über sich hinauswachsen kann.«
»So etwas Ähnliches hat die Chrysantheme auch gesagt. Und da fragte er doch glatt, welche Talente du sonst noch hast.«
Kein Geheimnis und keine besonderen Talente, das war ja die Crux. Sie gab einen vagen Laut von sich und richtete ihre Aufmerksamkeit und die Puderquaste auf Aimées Rückenpartie.
»Meine Talente sind hinreichend bekannt. Sie erschöpfen sich in einem passablen Gespür für Farben und Symi… Sums… Du weißt schon, wenn Gestalt und Form exakt zueinander passen. Außer einen Raum ansprechend zu gestalten und aus Kurtisanen Märchenwesen zu machen, kann ich nichts.«
Aimée quittierte Florines schweren Seufzer mit einem Zungenschnalzen. »Kalinka wollte sich wichtig machen. Sie passte Saint-Germain ab und hielt einen Plausch mit ihm.«
In diesem Haus gab es wirklich zu viele Augen und Ohren. In dem begrenzten Kosmos der Kurtisanen lag alles auf dem Präsentierteller. Irgendein Ohr klebte stets an irgendeiner Tür. An der Untätigkeit der Tage lag es, die im Sommer besonders lang wurden. Sobald die Mädchen ausgeschlafen hatten, vertrieben sie sich die Zeit mit den Angelegenheiten anderer.
»Sie hat ihm gesteckt, dass du auf den Händen gehen und dabei eine Orange auf dem Kopf balancieren kannst.«
»Das soll ein Talent sein? Ich hoffe, Saint-Germain war gebührend beeindruckt.« Florine bearbeitete mit der Puderquaste Aimées feste Pobacken.
»Damit nicht genug, musste sie ihm brühwarm von der Wette erzählen.«
»Welcher Wette?«
»Deiner Wette mit Olymp und Sybille. Sag bloß, die hast du vergessen? Du bist mit verbundenen Augen über den Dachfirst spaziert.«
»Herrje. Das liegt vier Jahre zurück. Ihr habt mich betrunken gemacht und zum Leichtsinn verleitet. Ich hätte mir den Hals brechen können.«
»Hast du aber nicht. Kalinka musste ihm prompt auf die Nase binden, dass du weder geschwankt noch gestockt hast. Er stieg sogar mit ihr nach oben, um sich den First anzusehen. Kannst du dir das vorstellen?«
»Bei den abstrusen Ansichten, die der Mann über sich und andere verbreitet, kann ich mir alles vorstellen.«
»Jedenfalls hat Kalinka das Abenteuer gehörig ausgeschmückt. Saint-Germain wirkte sehr nachdenklich, als er endlich abzog. Hüte dich vor ihm, Florine. Der Mann ist mir nicht geheuer. Es heißt, er habe eine Perle aus dem Kronschatz wachsen lassen. Sie wurde gewogen und gemessen, davor und danach, und sie war größer geworden. Wer weiß, was er sonst noch fertig bringt.«
»Eine Perle, pah. Wenn er Busen wachsen lassen könnte, würde ihm ganz Paris zu Füßen liegen.« Darüber mussten sie beide kichern. Sie legte die Quaste beiseite. »Leg den Schleier vor und lass mich sehen.«
Die Wirkung war entzückend. Aimées Haut war von einem zartgoldenen Schimmer überzogen. Aus ihr war eine nackte Halbgöttin geworden, deren Schleier ihr etwas Mystisches verlieh. Leider würde der Eindruck nicht lange halten. Mit etwas Glück konnte Aimée ihren Tanz beenden, ehe die Freier nach ihr grabschen und sie unter sich durchreichen würden. Manchmal befürchtete Florine, sie könne ihre Arbeit zu gut machen.
»Ich könnte ein weiteres Mädchen mit Gold pudern. Allerdings hat keine eine so wundervolle Haut. Es wäre nicht dasselbe. Sie werden sich auf dich stürzen, Aimée.«
»Soll mir recht sein, umso größer wird mein Anteil ausfallen«, kam es hinter dem Schleier hervor. »Was mir nicht gefällt ist deine Gleichgültigkeit. Du gibst nichts auf meine Warnung. Dabei war die Chrysantheme so erzürnt über Kalinka, dass sie ihr Maulschellen verpasste, weil sie geplaudert hat. Was will Saint-Germain
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