Söhne der Luna 2 - Die Braut des Wolfes
unter sich waren und niemanden über ihre Abstammung täuschen mussten. Sie saßen oder lagen oder standen über Stunden still herum. Wer alle Zeit der Welt sein eigen nannte, konnte aus ihr hinaustreten und sie anhalten.
Ihr entfuhr ein Räuspern. Leise zwar, aber unüberhörbar. Ein Geräusch der Sterblichen war ihr entwichen, im Beisein zweier Angehöriger des alten Volkes, die solche Laute nur machten, wenn sie sich unter ihren Quellen bewegten. Es klang allzu menschlich. Sie war erleichtert, als Selene die Stille endlich brach.
„Es mag sein, dass die Sterblichen vor ihr zurückschrecken. Das macht nichts. Sie könnte sich von einem anderen Vampir nähren oder von einem Werwolf. Ja, Letzteres könnte ich akzeptieren, denn ihr Blut ist reichhaltig. Sie hätte damit eine feste Quelle.“
Scheinbar wollte Selene nicht akzeptieren, dass sie kein Blut zu sich nehmen konnte. Berenike wies sie nicht darauf hin. In langsamen Schritten musste sie ihre Mutter auf diese Tatsache hinführen. Vielleicht mit der Andeutung auf ein Stück Brot oder einen Apfel. Jäh sehnte sie sich nach dem Knirschen eines Apfels zwischen den Zähnen. Gehetzt rieb sie über ihr Gesicht. Das war doch völlig absurd. Schleunigst richtete sie ihre Aufmerksamkeit zurück auf die Unterhaltung.
„Er hängt im Netz einer Strega. Keine Sekunde käme er darauf, sich Berenike zuzuwenden“, sagte Mica.
„Seine Sippe ist durch Florine an uns gebunden. Er war willens, mir sein Blut zu geben und kann einer Lamia nicht widerstehen, selbst wenn er es wollte. Und das wird er nicht.“
„Um das zu erproben, lassen wir uns von der Strega einmal rund um Rom wirbeln? Du hast selbst erlebt, wozu sie imstande ist.“
Die Erwähnung von Aurora ließ Berenike aufhorchen. An Ruben de Garou war sie weitaus weniger interessiert, obwohl von ihm die Rede war. Ein schnöder Holz und Harz verströmender Werwolf war nichts. Eine Strega hingegen war angefüllt mit Zauber. Sie hatte den Geschmack ihrer Macht gekostet. Außerdem mochte sie Aurora. Sie hatte ihr das Leben gerettet. Berenike erhob sich und setzte sich auf eine Stuhlkante.
„Aurora wird gegen die Larvae vorgehen“, sagte Mica. „Tizzio und sein Rudel werden sie dabei unterstützen. Aber Aurora pocht auf deine Hilfe. Du schuldest ihr etwas.“
„Sie kommt nicht gegen die Larvae an.“
„Sie hat das Hexenfeuer.“
Das Zischen eines Reptils kroch über die Wände. „Dann ist sie wahnsinnig.“
Während ihrer Gefangenschaft musste einiges vorgefallen sein, und niemand hatte Berenike darin eingeweiht. Selbst jetzt nahmen Mica und Selene sie nicht wahr und sprachen über sie hinweg.
„Mutter, dies ist eine Chance, Tizzio auf deine Seite zu ziehen. Reich ihm die Hand. Dieses Bündnis wird Berenike zumindest vor einem Zugriff der roten Wölfe schützen.“
„Bündnis!“, stieß Berenike aus. „Du willst uns zu einem Bündnis ähnlich dem deinen in Paris bewegen? Bist du noch ganz bei Trost?“
„Misch dich nicht ein!“, wies Mica sie zurecht. Das Türkis seiner Augen war kalt.
„Die Frage ist berechtigt, mein goldener Sohn. Dein Vorschlag erstaunt mich. Ein Bündnis mit denjenigen, die geboren wurden, um uns auszulöschen, mag für dich notwendig sein. Aber ich kann mich dazu nicht hergeben. Vergiss nicht, wer ich bin.“
Seine Wangenmuskeln spielten. Er presste so fest die Zähne aufeinander, dass er kaum zu verstehen war. „Mutter, ich bin in Rom wegen meines Kindes, meines Enkelkindes und eines zweiten, das bald geboren wird. Sie alle sind sterblich, und du solltest allmählich darauf kommen, dass auch dein Kind abgesichert werden muss, nach allem, was geschehen ist. Wir können es uns nicht länger leisten, Feindschaften zu schüren. Wir sind angreifbar geworden durch unsere Kinder. Ganz nebenbei hast du soeben selbst in Erwägung gezogen, Berenike mit einem Feind zu verbinden.“
„Ich würde mich niemals, niemals an einen Werwolf vergeuden!“, begehrte Berenike auf.
Niemand gab etwas auf ihre Worte. Selenes Augen erlangten die Härte von Juwelen. Ihre Lippen waren leicht geöffnet. Alleindie Erwähnung von Gefahr für ihre Tochter befeuchtete die Spitzen ihrer Reißzähne mit Gift. Es war harmlos gegen die Einflüsterungen, die Mica durch seine Worte in sie träufelte.
„Meine Getreuen in Paris stellten mich zur Rede. Drei Vampire, dazu nicht einmal alte, drangen in mein Haus ein und drohten mit Konsequenzen, sollte ich Cassian de Garou verbunden bleiben.“
Selene blinzelte.
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