Söhne der Luna 2 - Die Braut des Wolfes
es zu. Mica schlug ein Bein über das andere und stützte das Kinn in die Hand. In dieser Denkerpose verharrte er, den Blick sinnend ins Nichts gerichtet. Teufel, er blendete. Sie musterte ihn durch den dunklen Schleier des Haares, das über ihre Schulter nach vorne fiel. Er war ihr Bruder. Gleichzeitig war er ein Vampir, und deren Blut hatte sie bisher nicht gekostet. Wonach würde er, der Goldene, schmecken? Konnte er bei ihr all die unbekannten Wonnen hervorrufen, die seine Quellen erlebten? Dachte sie etwa gerade an so etwas wie Inzest? Sein Anblick löste durchweg wollüstige Gedanken aus. Sie erkannte seine Absicht. Er wollte sie verführen, damit sie von ihm trank, und flößte ihr diese Gedanken ein.
„Ich will sein Blut nicht“, sagte sie vehement.
„Entweder du nimmst es aus freien Stücken oder wir bringen dich dazu!“
„Mutter, wir wollen keinen Druck ausüben.“
Sie hatten es geplant. Erst wurde sie in dieses heimelige Räumchen zitiert, dann von ihrer Mutter bedrängt, und schließlich tauchte Mica auf, eine annehmbare Alternative. Berenike schrak zusammen, als er dicht an ihrem Ohr wisperte. Sein Schnurrenwurde zu einer Melodie, die seine Worte trug.
„Auf dem Heimweg hatte ich vier Quellen. Du kannst von mir nehmen, soviel du willst.“
Gereizt maß sie ihn ab. Vier Quellen, und garantiert hatte er sie am Leben gelassen. Von jeher besaß er, wonach sie verlangte. Grenzenlose Freiheit. Aber nutzte er sie etwa? Sie hatte genügend Verachtung in sich angesammelt, um sie ihn spüren zu lassen. Ungeachtet ihrer Miene schob Mica seinen Ärmel hinauf und präsentierte ihr die Innenseite seines Armes.
„Es ist dasselbe Blut, das in dir fließt, Berenike.“
Sicher, nur um vieles älter. Sie blickte von ihm zu Selene. Zwischen den beiden konnte sie nur unterliegen. Sie fühlte sich nicht einmal mehr zugehörig. Ihre Zunge glitt über ihre Reißzähne. Sie waren spitz wie eh und je, doch mehr und mehr schien sie zu vergessen, wozu sie dienten. Sie wollte keine Ausgestoßene sein. Mica ballte die Faust und öffnete sie wieder. Unter der Haut pumpte Blut. Ein langsamer, stetiger Strom. Wieder schloss er die Finger, und ein filigranes Netz blauer Adern trat an seinem Handgelenk hervor. Es hob sich ihr entgegen. Sie musste nur zugreifen.
„Ich bin deine Quelle, wenn du erlaubst.“
„Nimm ihn“, wisperte Selene.
Berenike erlag. Mica umgarnte sie mit seinem Duft nach Sandelholz und Limetten. So leicht, so unwiderstehlich. Sie wollte die Glätte seiner Haut durchstoßen und umfasste sein Handgelenk. Sein Arm legte sich um ihre Schultern und spannte sich an, als sie zubiss. Blut sprudelte in ihren Mund. Der erste Schluck war eine Offenbarung. Mica schmeckte nach einem schweren, dunklen Geheimnis, das lange gehütet worden war. Eine Hand streichelte durch ihr Haar. Selene gurrte leise.
„Nimm mehr von ihm. Nimm alles.“
Der zweite Schluck verursachte Schwindel. Ihr Saugen wurde schwächer. Der dritte Schluck verblieb in ihrem Mund, da ihre Kehle sich weigerte, zu schlucken. Schon pulste der nächste Schub an Blut auf. Ihre Fänge lösten sich mit einem schmatzenden Geräusch. Sie riss den Kopf zurück. Blut floss über ihre Lippen, rann warm über ihr Kinn. Angestrengt würgte sie hinab, was in ihrem Mund verblieben war und wischte sich mit dem Handrücken das Kinn sauber. Rote Schlieren blieben auf ihrer Haut zurück, kein Geheimnis, sondern eine elende, rote Sauerei. Aus Ekel wurde Entsetzen, als noch mehr Blut aus den Bisswunden heraustrat. Ihr Reflex hatte versagt, sie hatten den Biss nicht versiegelt. Mica holte das Versäumnis selbst nach, fing sein eigenes Blut auf und schloss die Wunden mit einem leichten Zungenschlag. Sein Blick marterte sie.
„Nike … Nike …“, stammelte Selene, einmal aller Worte beraubt.
Ächzend legte Berenike die Hand an den Mund. Auf keinen Fall wollte sie sich übergeben.
„Ihr ist schlecht. Von meinem Blut“, folgerte Mica richtig.
„Das kann nicht sein! Selbst ein Sterblicher würde durch dein Blut genesen! Du bist der Goldene!“, kreischte Selene.
Berenike sank an die Rückenlehne und schloss die Augen. Sie musste ihrer Übelkeit Herr werden oder es würde ein Malheur geschehen. Die Stimme ihrer Mutter war über ihr. Heißer Atem schlug ihr ins Gesicht.
„Du musst trinken, Nike. Ich verlange es! Ich dulde nichts anderes!“
„Ich kann nicht.“
Dieses Geständnis, dazu vor Mica, an dem kein Fehl war, war die größte aller denkbaren
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