Söhne der Luna 2 - Die Braut des Wolfes
Röte in ihr Gesicht, floss in ihr Dekolleté und brannte hinab zu ihren Brüsten. Ihr Weg über den Gang geriet zu einer Flucht. Hinter ihr schob Pico die Riegel vor. Das Geräusch ließ sie kurz innehalten. Hastig bog sie um die nächste Ecke, reckte den Hals und warf einen letzten Blick in den Gang. Im Dämmerlicht hatte Pico sich vor der Tür aufgebaut und ging in der gewichtigen Rolle des Wachmanns auf. Das war zu albern. Ein Fingerzeig von ihr, und der Betawolf würde durch den Gang fliegen. Nein, sie würde ihre Magie nicht auf Kindereien richten. Ruben wollte sie nicht sehen, dann sollte er sie nicht sehen. Basta!
Zwei volle Stunden verbrachte sie mit Grübeln über mögliche Krankheiten, die einen Werwolf ereilen könnten. Das Grimoire gab keinen Aufschluss darüber, dass die Wolfssippen überhaupt ernsthaft erkranken konnten. Es gab keinen triftigen Grund für seine jähe Abkehr von ihr und ihrem gemeinsamen Bett. Eine Weile stand sie davor und fühlte sich verloren. Dabei hatte sie die meisten Nächte ihres Lebens allein geschlafen. War seine Liebe zu ihr so schnell verflogen, wie sie aufgekeimt war? Unsinn. Trotz seines Intermezzos mit Contessina und einer Nacht mit Selene konnte sie das nicht glauben. Ruben liebte sie. Er zeigte es mit jeder Geste, jeder kleinen Aufmerksamkeit. Seine Liebe war groß genug, um sein Leben für sie zu lassen. Daran hegte sie nicht die geringsten Zweifel.
Der trübe Dezembertag wich dem Abend. Die Nacht dämmerte herauf, und mit ihr kletterte der Mond direkt vor die Fenster. Eine strahlende Münze auf schwarzem Samt. Ein klarer Himmel wölbte sich über eine windstille Nacht, und obgleich bitterkalt, war der Schnee geschmolzen. Das Mondlicht fiel auf vereistes Erdreich, auf die kahlen Äste der Bäume und versilberte den Garten. Dieses Gestirn zwang Tizzio dazu, sein Revier zu verlassen und Ruben in ein Gemach ohne Fenster. Sie war beinahe sicher. Ehe sie weiter darüber sinnieren konnte, betrat Contessina das Zimmer. Der Duft von geschmolzenem Käse begleitete sie. Die junge Rudelwölfin war auffallend blass, und gewiss nicht, weil sie beim Tändeln mit Ruben erwischt worden war.
„Dieser Vampir ist eingetroffen. Unter dem Dach in der Loggia hat er sich eingenistet. Gleichgültig, was Tizzio dazu sagen wird, wagt er sich ins Haus vor, schlagen wir ihn tot. Er hat hier nichts verloren.“ Scheppernd stellte Contessina das Speisetablett ab.
„Contessina, welche Wirkung hat der Mond auf die Alphawölfe? Was geht hier vor?“
Contessina zuckte die Schultern. „Mich geht das nichts an. Du solltest doch am besten wissen, was hier vorgeht. Deinetwegen hockt ein Feind auf unserem Dach.“
Die Schuldzuweisung entlockte Aurora einen schweren Seufzer. Jetzt wusste sie wenigstens, weshalb das Rudel sie ausschloss und sie allein speisen durfte. Mit einer schnippischen Kopfbewegung stolzierte Contessina davon. Ein abwesender Leitwolf, ein fremder Alpha im Haus und ein Vampir auf dem Dach, das alarmierte das Rudel. Sie rückten enger zusammen und wollten unter sich bleiben. Aurora setzte sich vor den Teller. Das überbackene Gemüse machte keinen Appetit. Der Streit mit Ruben lag in ihrem Magen wie ein Felsbrocken. Sie stocherte im Käse, zog Fäden und wickelte sie um die Gabel. Was für ein Elend. Sie wollte nicht schmollend zu Bett gehen. Und was, wenn Werwölfe nun doch krank werden konnten? Als sie den Stuhl zurückschob, rückten die Stuhlbeine erschreckend laut über das Parkett.
Erst jetzt fiel ihr die Stille auf. Über dreißig Leute waren im Haus, doch hören konnte sie nichts. Keine Stimmen, kein Lachen, absolut nichts wies auf die Bewohner des Palazzo hin. Sie lauschte. Die Ruhe hatte nichts mit ähnlichen Nächten aus ihrer Kindheit gemein. Sie sah in die Nacht hinaus. Das Bassin vor den Fenstern, die Schatten der Bäume und Sträucher auf der Rasenfläche wirkten merkwürdig flach, als schaute sie in ein Gemälde und nicht in einen Garten. Unter ihrer Zunge bildete sich ein bekannter Geschmack. Ein wenig bitter versengte er ihre Zungenspitze. Die Gabel entglitt ihren Fingern und fiel auf den Tisch. Sie hielt den Atem ein.
Uralte Magie kroch durch den Palazzo, verfing sich in den Vorhängen, schob sich unter den Türritzen hindurch und nistete sich in die Möbel. Die Stille begann zu summen, von einem Zauber erfüllt, den sie nicht gewirkt hatte. Ein Hauch von scharfem Pfeffer prickelte in ihrer Nase und verflüchtigte sich sofort wieder. Finsternis, obwohl die
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