Söhne der Luna 2 - Die Braut des Wolfes
Kerzen brannten, versetzte ihren Mund mit Säure und entzog ihr den Speichel.
„Das ist unmöglich“, flüsterte sie.
Woher kam es? Wer hatte es geweckt? Sie sah zum Mond auf. Ein strahlender Lampion über den Bäumen. Das Gestirn besaß große Kräfte. Sie zeigten sich in Ebbe und Flut und ließen die Säfte der Pflanzen steigen oder fallen. Der Mond konnte Magie verstärken oder abschwächen. Vor allem jene Magie, vor der sich jede Strega hüten sollte. Sie glühte auf ihrer Zunge. Eine Magie von einer alles verschlingenden Schwärze. Ihr Herz setzte zu Galoppsprüngen an, schlug hinauf zu ihrem Hals und hämmerte in ihren Schläfen. Sie war umgeben von der Präsenz einer unsichtbaren Macht.
Ihre Hexeninstinkte erwachten, ihr Herzschlag beruhigte sich. Aus Angst wurde Neugierde und sie streckte ihren Geist in diese Finsternis. Der Zauber war von unglaublicher Stärke, doch richtete er sich nicht gegen sie oder das Rudel. Er war einfach nur gegenwärtig. Sie könnte sich zu Bett legen, die Augen schließen und sich still verhalten. Die Nacht würde verstreichen, ohne dass jemand Schaden nahm. Andererseits war es ihr unmöglich. Neue Unruhe erfüllte sie, richtete sich auf Ruben. Sein Name hallte in ihr wider. Das Kribbeln in ihren Beinen verlangte nach irgendeiner Tat und drängte sie hinaus aus der Sicherheit ihrer Zimmer.
Alle Lichter waren gelöscht. Sie vermutete das Rudel im unteren Geschoss vor dem größten Kamin. Gemeinsam wachten sie, gewiss ein wenig ängstlich ohne ihren Anführer, über das Haus. Auf Zehenspitzen nahm Aurora die Abzweigungen. Sie brauchte kein Licht, um ihren Weg zu finden. Der Palazzo war ihr bis in die hintersten Winkel vertraut. Sie lugte um die letzte Ecke. Pico hielt seine Stellung. Eine quadratische, nicht sehr große Gestalt mit breiten Schultern neben einem sechsarmigen Leuchter. Er trat von einem Fuß auf den anderen und kratzte sich unentwegt. Er war ein Wolf. Ihm konnte die verdichtete Atmosphäre nicht entgehen. Seine Augen wurden weit, als sie aus der Dunkelheit auf ihn zukam. Schreck huschte über seine Züge, gefolgt von Erleichterung, als er sie erkannte und schließlich Strenge.
„Was machst du hier, Aurora?“
Arglos lächelte sie ihn an. „Etwas geht um heute Nacht, Pico. Du witterst es, nicht wahr?“
Ein Kieksen kam aus seiner Kehle. Er riss den Kopf zurück und witterte kurz. Dann maß er sie ab, nicht bereit, sich verscheuchen zu lassen. „Nichts geht um. Unser Hort ist sicher, und du kehrst zurück auf dein Zimmer. Er hat klare Anweisungen gegeben.“
„Was kümmerst du dich um seine Anweisungen? Er ist nicht dein Leitwolf.“
„Er ist ein Alpha!“
„Pico, ich muss mit ihm reden, sonst kann ich nicht schlafen. Ich will mich nur entschuldigen.“
„Das kannst du morgen, wenn er herauskommt. Du jedenfalls gehst nicht zu ihm hinein.“
Pico war nicht sonderlich eindrucksvoll. In einen Wolf verwandelt sah er mit seinem roten Fell eher aus wie ein zu groß geratener Fuchs. Er hatte früher oft mit ihr gespielt und war nie sonderlich streng oder gar konsequent gewesen.
„Schau mal, Pico, ein Zank zwischen Liebenden ist etwas ganz Normales. Ruben hat es nicht so gemeint, als er sagte, er wolle mich nicht bei sich haben. Frag ihn einfach, und du wirst feststellen …“
Ein Schrei brach über sie herein. Sie machte einen Satz, packte Picos muskulösen Arm und hielt sich daran fest. Stimmen wurden laut. Die Wölfe rannten im Geschoss unter ihnen herum.
„Sammelt euch! Bleibt zusammen!“, brüllte einer von ihnen.
„Verdammt“, stieß Pico aus und schüttelte ihre Hand ab.
Er machte zwei Schritte von der Tür fort und kehrte wieder um. Aurora fasste sich. Mica musste den Aufruhr ausgelöst haben. Dem Vampir war wohl in der Loggia langweilig geworden, und auf der Suche nach Unterhaltung versetzte er das Rudel in Unruhe. Ohne Weiteres traute sie ihm diesen Schabernack zu.
„Du solltest nachsehen, Pico. Du bist der Beta und solange Tizzio abwesend ist, für alles verantwortlich.“
Unter ihnen verlagerte sich das Stimmengewirr in einen Nebentrakt. Die Schreie wurden durchdringend. Entweder spielte Mica mit ihnen Haschen oder die Wölfe waren gerade dabei, ihn auszulöschen. Wild kratzte Pico über seinen Kopf, hin- und hergerissen zwischen seiner Pflicht, die Tür zu bewachen und der Ursache des Tumults nachzugehen. Ein rotes Haarbüschel segelte zu Boden.
„Du musst nachsehen“, sagte sie nachdrücklich.
Er sah zu den Riegeln, zu Aurora,
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