Söhne der Luna 2 - Die Braut des Wolfes
ahnte es voraus. Aurora kam in der festen Absicht, ihm ein Schild zu sein. Ihre Eile, sich wieder einmal schützend vor ihn zu stellen, führte zu einem Lachreiz, den er nicht unterdrücken konnte. Ein Fehler. Tizzio, nicht zu Späßen aufgelegt, brüllte auf.
„In meinem eigenen Hort werde ich verhöhnt!“
Das war die Vorlage, auf die Aurora gewartet hatte.
„Deinen Hort hast du über lange Tage und Nächte verlassen, während Ruben hiergeblieben ist und sich einem Angriff der Larvae entgegenstellte. Nun weiß ich, weshalb du dich in den Nächten des Vollmondes zurückziehst. Deine Sippe, dein Bruder und du, ihr alle wäret jederzeit in der Lage gewesen, meiner Familie vor dem Fluch Sicherheit zu bieten. Ihr habt nur nicht gewagt, was er gewagt hat!“
Der Vorwurf entzog Tizzio die Atemluft und seiner Miene nach zu schließen gleichzeitig jeden klaren Gedanken. Sein Mund schnappte auf und zu. Blässe überzog sein Gesicht, abgelöst von zunehmender Röte. Seine Männer rieben ihre Ohrläppchen, kratzten die Köpfe und schienen umso nachdenklicher zu werden, je länger Auroras Vorwurf im Raum stand. Ruben mischte sich nicht ein. Der Blutschwur der di Mannero und ihre Verbindung zu den Braglia betrafen ihn nicht. Er würde eine Abreibung einstecken, und da Aurora ein unausgesprochenes Thema ansprach, würde sie entsprechend hart ausfallen. Der Anstand zwischen zwei Alphawölfen gebot, dass er es hinnehmen würde. Wie von ihm erwartet, richtete sich Tizzios Zorn auf ihn und ließ Aurora außen vor.
„Du hast meine Position und meine Autorität untergraben!“
Aus den Augenwinkeln gewahrte Ruben, wie Berenike die Mundwinkel zu einem hämischen Lächeln hob. Sie wartete auf eine handfeste Auseinandersetzung zweier Alphawölfe. Tizzio schnellte vor, um ihn an der Gurgel zu packen, und Ruben war bereit, es über sich ergehen zu lassen, doch Aurora ging dazwischen. Tizzio konnte die Wucht seines Zugriffs nicht abbremsen und traf mit der Faust ihre Schulter. Trotz der enormen Geschwindigkeit verlief es für Ruben zähfließend langsam. Der Schlag brachte Aurora aus dem Gleichgewicht. Sie taumelte auf die Treppe zu. Entsetzt schlang Ruben einen Arm um ihre Taille. Er konnte den Sturz nicht aufhalten. Gemeinsam verloren sie den Halt. Ehe sie auf die erste harte Stufe trafen, umfasste er ihren Hinterkopf und presste sie an sich. Gleichwohl konnte er nur ihre Front decken, nicht ihren Rücken.
Im Bruchteil eines Lidschlags war da eine Wolke aus Orange. Eine lange Feder stach ihm beinahe ein Auge aus. Berenike besaß trotz der Maskerade einer Dame von Welt die blitzartigen Reflexe einer Lamia. Ein weiteres Mal war Aurora zwischen einen Werwolf und eine Lamia geraten, doch dieses Mal verfolgten beide das gemeinsame Ziel, sie vor den gefährlichen Kanten des Marmors zu schützen. Fünf spitze Nägel bohrten sich in Rubens Nacken, fünf weitere verhakten sich in seinem Kreuz. Berenikes Kopf krachte auf eine Stufe. Er spürte ein Knacken, als sein Arm auf eine Kante traf und der Knochen glatt durchbrach. Die Treppe schien mit jedem Überschlag länger zu werden. Er war dankbar über die zu Fäusten geballten Hände, die an seinem Brustkorb ruhten. Doch er fürchtete um Auroras Beine. Irgendwo in den Stoffbahnen des orange-gelb gestreiften Rocks von Berenike waren sie. Er konnte nur hoffen, dass der Stoff und das breite Panier sie schützten.
In einem Knäuel prallten sie am Fuß der Treppe auf. Noch vor Ruben richtete sich Berenike auf und berührte kurz die Prellung an ihrem Kopf. Er gelangte auf die Knie, blickte über die Strecke von zwanzig Stufen, an deren Ende Tizzio umgeben von seinen Männern stand. Schock zeichnete sich in ihren Gesichtern ab.
„Das wollte ich nicht“, stieß Tizzio aus.
Wen scherte, was er wollte? Es war geschehen. Ruben achtete nicht auf den Schmerz in seinem Arm, dessen Bruch bereits zu heilen begann. Ausschließlich Aurora zählte. Sie lag reglos am Boden. Ihr Gesicht verriet nichts, war völlig leer. Sein Herz zog sich zusammen. Er beugte sich über sie.
„Aurora?“
Ausnahmslos hielten sie den Atem an, während er ihre Wange berührte. War sie kalt? Nein, obwohl sie bedenklich bleich war, fühlte sie sich warm an.
Sie schlug die Augen auf, sah um sich und fixierte ihn schließlich. „Ist es vorüber?“
Erleichtert schluchzte er auf und wandelte es in ein Lachen um. „Ja. Wir sind unversehrt unten angekommen.“
Ein Blick aus nahezu schwarzen Mandelaugen traf ihn. Berenike
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