Söhne der Luna 2 - Die Braut des Wolfes
den Mund zu. Ihr Ausbruch machte sie verlegen, zeigte Schwäche vor denjenigen, die darüber nichts wissen sollten. Keine Lamia ließ sich vor ihrem Gegner gehen. Ruben gab sich unbeteiligt und kickte Steinchen über den Boden, aber Tizzio saugte sich geradezu an ihr fest. Sie spürte seine Häme.
„Du hast dasselbe Anrecht wie wir alle“, sagte Aurora in die eintretende Stille hinein. „Und ich halte dich keineswegs für schwach. Du bist schnell und klug und hast mir den Weg gewiesen, wie das Hexenfeuer zu handhaben ist. Ich vertraue dir und erkenne deinen Wunsch an. Du wirst mit uns kämpfen und Ruben begleiten auf seinem Weg durch Rom.“
„Einen Moment, Aurora, es war abgemacht …“
„Tizzio will dir sein Rudel nicht anvertrauen, und ich will nicht, dass du allein läufst. Was ist, wenn du stürzt? Wer lenkt in einem solchen Fall die Larvae von dir ab?“
Ihre Kapuze rutschte von ihrem Haar. Das spärliche Licht der Mondsichel schimmerte in ihren hellen Locken.
„Ich bin kein Greis, der über einen Pflasterstein stürzt und ohne Hilfe nicht mehr hochkommt. Da Berenike schon einmal von den Larvae erwischt wurde, ist es viel wahrscheinlicher, dass sie es ist, die mich aufhält und Hilfe brauchen wird.“
„Ich brauche gewiss keine Hilfe von einem stinkenden Stück Fell!“
Rau lachte Tizzio auf.
„Wie bedauerlich, dass wir die Spitzhacken nicht mitgebracht haben. Damit könntet ihr euch hier und jetzt die Schädel einschlagen“, meinte Mica trocken. „Eines steht fest, wenn das so weitergeht, sind wir zum Scheitern verurteilt.“
Ihre Runde hatte sich immer weiter auseinandergezogen und drohte, zu zerfallen. Aurora begab sich in die Mitte.
„Mica hat recht, wir müssen uns einig sein. Wir werden unseren Zwist und Groll vergessen und zusammenhalten. Entscheidet euch jetzt, ob ihr dazu in der Lage seid. Trefft eure Wahl für oder gegen meinen Kampf.“
Die Hand zur Faust geballt, streckte sie den Arm. Für einen Augenblick war einzig das Heulen des Windes zu hören, der an ihrem Mantel zerrte. Ruben trat vor und umschloss ihre kleine Faust mit seiner Hand. Nahezu zeitgleich setzten sich Mica und Berenike in Gang. Sie wartete, bis ihr Bruder seine Hand über die von Ruben legte, denn berühren wollte sie einen Werwolf trotz allem nicht. Selene glitt aus den Schatten der Nacht und zuletzt gesellte sich Tizzio zu ihnen. Ihre Arme bildeten einen Stern, in dessen Zentrum sich der Knoten ihrer Hände befand. Niemand lächelte. Berenike vermutete, dass alle außer Aurora in dem Wissen auseinandergingen, dass die Chancen für ein tödliches Desaster ausgezeichnet standen. Womit unterschwellige Feindschaften unerheblich wurden.
Angeführt von Tizzio ging das Rudel in Richtung Rom davon. Berenike blieb am Fuß des Abhangs zurück und wartete auf Ruben, der noch mit dem Ausheben eines Grabens beschäftigt war. Die fahle Abenddämmerung machte aus ihr eine weich gezeichnete Silhouette. Zwei tiefe Gräben befanden sich links und rechts neben der Lamia. In einen dritten Graben starrte Aurora hinein. Trotzdem die Grabenkanten bis an Rubens Schultern reichten, war sie unsicher. Teils lag es an Tizzio, der wortkarg die Arbeit überwacht hatte. Teils aber auch an der Stellung dieses letzten Grabens.
„Der Frost hat einen Vorteil. Er hat das Erdreich so hart wie Stein werden lassen.“
Nach dieser Feststellung stemmte sich Ruben aus dem Graben und richtete sich auf. Als er die Hände an den Hosen abwischte, spielten die Muskeln auf seinen Oberarmen. Er wirkte archaisch in dem weiten, ärmellosen Hemd und dem Gürtel mit den sechs Dolchen.
„Dieser Graben liegt zu nah an der Stelle, wo ich stehen werde“, wandte Aurora ein und blickte über die Schulter zum höchsten Punkt des Hügels. „Der Hügel ist nicht steil genug. Funken des Hexenfeuers könnten euch treffen.“
Ruben begleitete sie hinauf. „Die Gräben sind tief genug. Mach dir darüber keine Sorgen. Wir haben den richtigen Platz ausgesucht. Weit genug entfernt von Rom, ohne ein Gehöft oder Felder in der Nähe.“
Davon war sie bis zu diesem Augenblick überzeugt gewesen. Je näher die Stunde der Larvae rückte, desto größer wurden ihre Zweifel. Etliche Übungen mit und ohne Ruben oder Selene lagen hinter ihr. Das Hexenfeuer unterlag ihrem Willen. Sie konnte den Zeitpunkt seines Ausbruchs exakt bestimmen. Etwas ganz anderes war es, einen Funkenflug zu vermeiden oder brennende Motten abzulenken. Beides konnte in die Gräben
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