Söhne der Luna 2 - Die Braut des Wolfes
des dichten Bartes entging ihm keine Regung an Tizzio. Das Braun seiner Augen wurde trüb. Das Silberlicht des Mondes sprühte auf. Er wollte diesen Gedanken nicht denken und nichts davon hören. Sein Griff um Rubens Handgelenk wurde schmerzhaft. Er ließ es zu, ohne sich zu wehren.
„Nein!“
Der Aufschrei zwang das Rudel enger zusammen. Schulter an Schulter saßen die Männer und Frauen und zogen die Köpfe ein, um nicht auf sich aufmerksam zu machen. Der schwere Atem ihres Oberhauptes füllte den Saal.
„Ich glaube nicht an ihren Tod. Erst wenn ich ihren Leichnam vor mir sehe … erst dann …“
Tizzio zog die Hand zurück und presste die Fäuste gegen die Augen. Trotzdem war Ruben nicht entgangen, dass die Augen des anderen feucht geworden waren. Vor ihm saß ein Alphawolf, der sein Zittern kaum noch unterdrücken konnte. Derselbe, der ihm soeben noch eine Gefährtin schmackhaft machen wollte. Auf so ein Elend konnte er verzichten. Ruben kehrte sich etwas ab, wartete, bis der andere seine Fassung zurückerlangte. Hoffte, dass der rote Wolf nicht in Tränen ausbrach. Tizzio riss die Fäuste herab. Er sprach abgehackt. Gepresst.
„Aurora hat geschworen, dir ein Schild und Schwert zu sein. Nimm sie beim Wort!“
„Und wie?“
„Gib ihr etwas zu denken. Bewege sie zum Handeln. Sie ist dir zugeneigt. Sie hat geschworen, dich zu beschützen, und daran wird sie sich halten.“
„Tizzio, das führt zu nichts.“
„An einen einmal gegebenen Eid ist sie gebunden. Das ist ein Gesetz der Hexengilden. Wenn sie denkt, dass du dich in Gefahr begibst, kann sie nicht länger tatenlos herumsitzen. Gib vor, dass du dich heute Nacht auf die Suche nach den Larvae begeben willst. Mehr braucht es nicht, damit sie dich begleitet.“
„Ich glaube nicht, dass sie schon so weit ist.“
„Vertrau mir. Sobald die Larvae sie entdecken, werden sie ihr folgen, und wir können zuschlagen und vielleicht herausfinden, wo sie Saphira gefangen halten.“
„Du willst sie zu einem Köder machen. Etwas Ähnliches hat sie erwähnt.“
„Sieh mich nicht so an, Garou“, polterte Tizzio. „Wir haben lange genug gewartet. Wir haben ein Abkommen mit Selene. Ihre Geduld ist knapp bemessen. Wenn du nichts unternimmst, wird sie dir die Entscheidung aus der Hand nehmen und ich zweifle, dass sie zimperlich mit Aurora umgehen wird. Selene kann uns gewaltigen Ärger machen. Ich habe nicht vor, meine Kräfte in einer Auseinandersetzung mit ihr zu erschöpfen. Etwas muss geschehen. Noch heute Nacht.“
Die Erwähnung von Selene reichte aus, um jeden Muskel in seinem Leib zu verhärten. Ruben hatte die Nacht mit ihr erfolgreich in die Tiefen seiner Erinnerung verbannt. Die Vorstellung, Selene könnte sich an Aurora vergreifen, war ihm unerträglich. Weder kannte die Lamia ein Gewissen noch erkannte sie Grenzen an.
„Solange ich in Rom bin, wird Selene nicht in Auroras Nähe gelangen.“
„Garou, dein Einfluss auf Aurora ist am größten. Schütze sie vor Selene, indem du handelst. Alles andere fruchtet nicht. Es ist bereits später Abend, und Selene ist wie jede Nacht aktiv. Sie hockt garantiert nicht auf dem Aventin und wartet auf Nachrichten von uns. Darauf kannst du deinen Pelz verwetten. Selene fackelt nicht lange.“
Es blieb keine Zeit, die Risiken gegeneinander abzuwägen. Tizzio ließ ihm keine Muße dazu.
„Geh zu ihr und bring sie zur Vernunft, solange noch Zeit ist.“
Ohne sonderlichen Elan stemmte Ruben sich aus dem Sessel. Ginge es einzig um Saphira und Selenes Tochter, er hätte sich verweigert. In diesem Fall ging es um viel mehr. Blutvergießen musste vermieden, die Basis für ein Bündnis geschaffen werden. Er war Cassian verpflichtet. Sein Bruder hatte Anspruch auf seine Unterstützung. Für die Sippe musste ein Werwolf sich selbst und alles andere hintanstellen.
Mica hatte die Zähne so hart aufeinandergebissen, dass sein Kiefer schmerzte. Die Wangen seiner Mutter waren rosig überhaucht, ihr Flammenhaar umwehte sie, als wollte sie sich jeden Augenblick in die Lüfte erheben. Er stand kurz davor, ihr die Faust auf die verführerisch prallen Lippen zu schmettern. Ungeachtet seiner Gegenwart hatte sie eine Quelle getötet. Es war so schnell vonstattengegangen, dass er nicht mehr eingreifen konnte. Der Tod eines Sterblichen war unnötig und damit unentschuldbar. Natürlich dachte Selene nicht daran, sich für die Missachtung seines Kodex zu entschuldigen. Die Lamia gaben nichts auf sein Gesetz. Seine Mutter
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