Söhne der Luna 2 - Die Braut des Wolfes
Eile erlangte eine neue Bedeutung. Sie wollte gerade fragen, wie er sie zu Tizzios Palazzo bringen wollte, ohne Spuren zu hinterlassen, da lag sie auch schon in seinen Armen und wurde gegen eine breite Brust gedrückt. Mica lief mit ihr den Aventin hinab und wurde mit jedem Schritt schneller. Kälte biss in ihre Wangen, wehte ihr Haar zurück und trieb Tränen in ihre Augen. Der Atem wurde ihr von den Lippen gerissen. Sie klammerte sich an seinem Hemd fest, obwohl der Gegenwind ausreichte, um sie an seinen Brustkorb zu nageln. In ihren Ohren knatterte Wind.
Die ersten Häuser tauchten auf und sausten an ihr vorüber. Mica hob ab.
Ihr Aufschrei wurde in ihren Hals zurückgestoßen. Sie glaubte, durch die Nacht zu fliegen, obgleich Vampire nicht fliegen konnten. Es lag an der Lautlosigkeit seines Laufes, der sie auf die Dächer von Rom führte. Es war eine Sensation, von der sie sich nichts entgehen lassen wollte. Mica machte gewaltige Sprünge über die Abgründe der Straßenschluchten. Die unterschiedliche Höhe der Dächer führte immer wieder zu einem abrupten Absacken, nur um kurz darauf wieder zu einem höher gelegenen Dach hinaufzukatapultieren. Binnen weniger Minuten hatte der Vampir die Strecke vom Aventin bis in die Nähe der spanischen Treppe zurückgelegt. Sacht setzte er sie vor Tizzios Palazzo ab und stützte sie am Ellbogen, bevor sie das Gleichgewicht verlieren und auf den Allerwertesten fallen konnte. Ihr war etwas schwindelig, und sie musste kichern.
„Ich hoffe, das war nicht zu schnell für dich.“
„Es war aufregend!“
Wehmütig sah er sie an, als wüsste er nicht, wie belebend Aufregung sich auswirken konnte. Womöglich lebte er schon zu lange, um sich an ihren Geschmack erinnern zu können. Er legte die Hand an das Eingangsportal. Obwohl der Palazzo bei Nacht verschlossen war, drückte er es mühelos auf. Aurora schlüpfte durch den Spalt ins Warme, drehte sich um und stellte fest, dass Mica nicht mehr da war. Ohne ein Wort des Abschieds, ohne dass sie Schritte gehört hätte, war er verschwunden.
„Hexendreck, ich wünschte, ich könnte das auch“, murmelte sie, schloss das Portal und legte den Riegel wieder vor.
Opium rang die Bestie nieder, die in jedem Alphawolf auf den Vollmond wartete und darauf lauerte, auszubrechen. Die Droge war zudem ein probates Mittel, um das Dasein erträglicher zu machen. Sie tilgte allzu scharfe Konturen, vertiefte Farben und brachte besinnliche Ruhe. Opium verwandelte alles, sogar die geringsten Gegenstände. Aus Wichtigem wurde eine Nebensache, Nebensächliches gewann an Bedeutung. Das Hässliche verblasste, und die Schönheit trat aus den kleinsten Dingen hervor. Sein Rausch tauchte Ruben in eine Welt der Wunder, in die er hineinfallen konnte, ohne einen Absturz zu riskieren.
Aus der kecken Contessina machte es eine begehrenswerte Frau, die der Liebe eines Alphawolfes würdig war. Der Geruch ihrerWeiblichkeit hatte Ruben bis in den großen Spiegelsaal gezogen. Ein bis zur Decke reichender Leviathan spreizte seine Schwingen und schien auf einen Malicorn eindringen zu wollen, der ihn mit offenem Maul bedrohte. Satyr und Faune bedrohten mit erhobenen Speeren vier schwarze Engel, deren Oberkörper aus der Wand herauswuchsen. In diesem Märchenwald aus Fabelwesen war Contessina ein leuchtender Farbklecks aus dunklem Haar und blühenden Lippen. Ein lockendes Weib durch die Spiegel an den Wänden ins Unendliche vervielfacht.
Bis zu den Ellbogen hatte Ruben sich in Schichten aus schillerndem Stoff vergraben und tastete sich zu ihren Schenkeln vor. Das Kaleidoskop aus Farben entzückte ihn und störte gleichermaßen, da es ihm den Blick auf ihre Nacktheit versperrte. Endlich traf er auf glatte Haut und streichelte an ihren Schenkeln nach oben. Weiche Lippen saugten sich an ihm fest. Leise lachte er auf, als sie ihre Zähne in seine Unterlippe grub.
„Willst du mich fressen?“, neckte er sie und hörte die eigene Stimme aus weiter Ferne.
„Ich werde dich verschlingen, wenn du mich lässt.“
Und ob er sie lassen würde. Aus keinem anderen Grund war er ihr hierher gefolgt. Um abzutauchen in einen feuchten Schoß und darüber alles andere zu vergessen, denn das Opium besaß noch einen weiteren Vorteil. Es sorgte für eine lang anhaltende Erregung, die er befriedigen wollte.
Er hob sie an und setzte sie auf der Sockelkante des Wolfssteins ab, derselben Statue aus Mensch und Wolf, die von Tizzio zum Mittelpunkt seiner Zusammengabe auserkoren worden
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