Söhne der Luna 2 - Die Braut des Wolfes
tot.
„Saphira.“ Sie rutschte auf ihre Leidensgenossin zu. „Saphira!“
Der Mann mit dem roten, unordentlichen Haar und dem Vollbart legte die Hände auf die Oberschenkel und neigte den Kopf. Sie schüttelte Saphira an der Schulter und traf auf Knochen.
„Ich habe dir versprochen, dass wir gefunden werden. Komm zu dir, Wölfin. Wach auf!“
„Sie ist tot.“
Es war ein Peitschenhieb, der auf ihrem Herzen brannte. Berenike zog Saphira zu sich heran, hob ihren Oberkörper an und bettete ihren Kopf in der Armbeuge. Sie tastete nach dem Herzen. Weshalb sollte die Wölfin tot sein? Sie war es schließlich auch nicht. Der Brustkorb besaß die Härte eines Schildkrötenpanzers. Kein Atemzug hob ihn. Trotzdem! Berenike hob den Kopf. Der Mann vor ihr musste Tizzio di Mannero sein, das Oberhaupt der roten Wölfe. Ein Ungeheuer, das den Tod der Gefährtin kaltblütig hinnahm.
„Sie kann nicht tot sein. Wir haben miteinander geredet. Saphira!“
Fest rüttelte sie die Wölfin, obwohl sie es besser wusste. Saphira hatte es nicht geschafft.
„Sie ist tot“, wiederholte Tizzio.
„Und es ist deine Schuld“, schrie sie und schlug nach ihm. Jemand drückte sich in ihren Rücken, fing ihren Schlag ab. Der Geruch einer salzigen Brise hüllte sie ein, sollte besänftigen. „Wo warst du, als sie dich brauchte?“, brüllte sie. „Du hast sie sich selbst überlassen. Jeden Monat. Sonst etwas hast du getrieben und dich nicht darum gekümmert, was sie machte. Sie war nur eine gebissene Wölfin. Du hast sie nicht beschützt!“
Selene schloss sie in die Arme, gab leise Gurrlaute von sich und streichelte ihr Haar. Wild schlug Berenike um sich. Sie brauchte keine Beschwichtigung. Aus den schmalen Augen des Werwolfs funkelte Hass. Sie hasste ihn nicht weniger.
„Sie hat von dir gesprochen. Unentwegt. Sie hat nach dir gerufen und geweint. Sie hatte große Furcht vor dem Tod. Und nun liegt sie da, wegen eines verdammten, stinkenden Mistviehs von einem unfähigen Werwolf, den ihr Schicksal nicht schert.“
„Kind, das ist Sache der Wölfe und nicht die deine“, säuselte Selene.
„Er hat sie nicht behütet. Er war ein schlechter Gefährte. Sieh ihn dir an. Für ihn ist sie nur ein Stück Aas.“
Schwerfällig erhob Tizzio sich vom Boden und rief in Richtung Durchgang. „Wir nehmen sie mit!“
Von den Seiten kamen Männer in geduckter Haltung, nahmen Saphira auf und trugen sie hinaus. Ihr Haar wippte bei ihren Schritten, spröde und trocken.
„Dafür töte ich dich, Tizzio.“
Berenike wollte ihm an die Kehle gehen und wurde von Selene aufgehalten. Sie hielt sie fest an sich gedrückt. Der Odem des Ozeans erstickte sie schier.
„Liebes, du kannst töten, wen immer du willst, doch zunächst solltest du zu dir zurückfinden.“
Ohne ihre Drohung zu beachten, begab Tizzio sich in den Durchgang. Weitere Männer und Frauen gesellten sich zu ihm, nahmen ihn in ihre Mitte. Von ihnen umgeben, wandte sich der rote Wolf an diejenigen, die Berenike in ihrem Zorn vergessen hatte.
„Hier gibt es nichts mehr zu tun. Ruben, Aurora, wir gehen.“
Berenike befreite sich aus der Umarmung ihrer Mutter und kam auf die Füße. Zwei Männer, eine Frau in ihrer Mitte, die sie wegen ihrer kinnlangen Locken ebenfalls für einen Mann gehalten hatte, traten zu ihr. Aurora musste die Hexe sein, über die Saphira gesprochen hatte. Diejenige, auf die es die Larvae abgesehen hatten. Je näher sie kam, desto weniger wurde der Gestank des Webwerks. Windgeruch vertrieb den Atem der Zersetzung. An ihren Händen war Blut getrocknet, und ein tiefer Schnitt zog sich über ihren linken Unterarm. Sie konnte keine Sterbliche sein. Diese waren nicht so durchscheinend und fragil. Deren Augen besaßen nicht eine solch durchdringende Klarheit. Berenike verstrickte sich in brodelndem Grau.
„Es waren deine Hände auf dem Kokon. Du hast mich herausgeholt. Saphira sprach von dir. Eine Hexe sollst du sein.“ Berenike witterte kurz. „Aber du riechst nach Wolf.“
Nein, korrigierte sie sich, es war der Schwarzhaarige neben der Hexe, der nach Wolf roch und seinen Geruch auf sie übertragen hatte. Sein Haar fiel wirr, von roten Strähnen durchzogen auf seine Schultern. In seinem kantigen Gesicht stand Unruhe. Er sah anders aus als Tizzio. Vollkommen anders. Größer, schlanker und auch gefährlicher. Ein weiterer Alphawolf und Feind. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit zurück auf Aurora. Hexen waren keine Feinde. Es sprach nichts dagegen, sie zu mögen.
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