Söhne der Rosen - Die rätselhaften Zwillinge (Gay Phantasy) (German Edition)
Stoßzeit. Hunderte von Leuten, die alle in ebenso weißen Kitteln wie wir herumrannten, wirkten eilig, beschäftigt oder zerstreut. Aber jeder von ihnen grüßte meine Eltern, mit Namen, und sie grüßten mich. Dort unten gab es kein Schwarz oder Weiß, kein Katholisch oder Evangelisch, kein Hetero oder Homo. Dort gab es nur die Wissenschaft und die Suche nach Wahrheiten.“
Sinh nahm wieder einen kräftigen Schluck. Dina war inzwischen zurückgekehrt und lag auf Daxx’ Schoß. Er kraulte sie geistesabwesend, während er der Geschichte lauschte. Ich hatte überhaupt nicht bemerkt, dass sie wieder zurückgekommen war.
„Ich weiß noch, wie mich mein Dad einmal mit in den riesigen, kreisrunden LEP-Tunnel genommen hat. Wir sind eine Ewigkeit an der zylindrischen Röhre entlangmarschiert, die sich wie der größte Gartenschlauch der Welt durch den endlosen Gang und durch Aberhunderte würfelförmiger Ablenkmagnete zog. Er erklärte mir, dass durch dieses Riesending winzige Teilchen geschossen wurden, so klein, dass man sie mit bloßem Auge nicht sehen konnte. Sie wurden von starken Feldern in der Mitte des evakuierten Rings gehalten. Evakuiert bedeutete, dass keine Luft in dem Rohr war. Die Geschwindigkeit der Teilchen war von der Energie abhängig. ‚Je größer die Batterie ist, die wir benutzen, desto toller ist das Ergebnis’, hatte er mir erzählt. ‚Du musst dir das wie zwei Glasmurmeln auf einer runden Bahn vorstellen. Wenn man beiden Kugeln sehr viel Schwung in entgegengesetzte Richtungen gibt, prallen sie irgendwann gegeneinander und zerplatzen in lauter kleine Scherben. Meine Aufgabe, und die deiner Mom, ist es, den Kugeln ganz besonders viel Schwung zu geben und später die winzigen Scherben genau zu untersuchen. Jede einzelne von ihnen. Nun, nicht wirklich jede, aber die wichtigsten, denn sie zeigen uns, was zu Beginn der Zeit passiert ist.’ Nach zwanzig Minuten oder so kehrten wir um. Mein Dad lachte und sagte mir, dass wir nicht einmal ein Zehntel des Tunnels hinter uns gebracht hätten und, wären wir weitergegangen, irgendwann in Frankreich herauskämen.“
Sinh nahm sich eine von meinen Zigaretten und zündete sie an, ohne uns eine anzubieten.
„Der 9. August 2007 sollte ein ganz besonderer Höhepunkt im Leben meiner Eltern werden. Tja, das wurde er auch. Aber nicht so, wie sie es sich gedacht hatten. Scheiße, nein. An dem Tag wurde der Versuch durchgeführt, den sie mit ihrem Team jahrelang geplant und vorbereitet hatten. Schon Wochen zuvor waren die beiden total überdreht. Wir unternahmen zwar weniger zusammen, da sie oft bis zu vierzehn Stunden am Tag arbeiteten, aber wir hatten trotzdem unseren Spaß. Ich freute mich so für sie. Sie waren ausgelassen wie kleine Kinder. Ich war alt genug, um auf mich selbst aufzupassen, außerdem hatten wir noch unser Hauspersonal, das sich in ihrer Abwesenheit um mich kümmerte. Und dann, am Morgen des neunten, kam die große Überraschung: Beim Frühstück fragten sie mich, ob ich sie zur Arbeit begleiten wolle. Damit hatten sie mich voll überrumpelt, denn ich wusste ja, wie beschäftigt sie waren. Sie wollten mich bei ihrem großen Tag dabeihaben. Ich freute mich wie ein kleines Kind vor Weihnachten. ‚Wie sieht’s aus, William Jr., möchtest du deine Eltern begleiten, wenn sie heute einen Teil des Geheimnisses unserer Existenz entschlüsseln?’, fragte mein Dad. Natürlich wollte ich das, auch wenn ich nicht genau wusste, was das bedeutete. Plötzlich war ich mindestens genau so aufgeregt wie sie. Eine Stunde später waren wir in den unterirdischen Hallen. Es war Sonntag, aber es wimmelte von Menschen. Ich trug meinen Laborkittel und kam mir so ungemein wichtig vor.“
Sinh machte eine Pause und atmete tief und stotternd durch. Seine Augen waren feucht, aber er weinte nicht. Daxx griff vorsichtig nach seiner Hand und er ließ ihn gewähren.
„Ich erinnere mich noch an einen Metalltisch mit Rädern, der in eine freie Ecke des Labors neben dem Detektor geschoben worden war. Auf ihm standen ganz viele Gläser und mehrere Flaschen Champagner. Alle Wissenschaftler und Assistenten gingen professionell vor, aber man konnte ihre Anspannung und Vorfreude trotzdem erkennen. Irgendwann wurde es dann still. Nur vereinzelte Anweisungen und Daten wurden noch gerufen. Ich sah zu meinen Eltern herüber. Sie standen neben ihrem Assistenten, waren blass, aber lächelten und starrten wie gebannt auf die Bildschirme und durch die breite
Weitere Kostenlose Bücher