Soehne & Liebe der Nacht
Wassertropfen vom Körper zu reiben. Er sah wieder die alten Bilder. Mit der toten Diana auf den Armen hatte er verzweifelt vor dem Haus ihrer Großmutter gestanden. Gabriel hatte so sehr an seine göttliche Macht geglaubt, dass er seinen wahren Feind, die Zeit, nicht gesehen hatte. Nie hätte Gabriel damit gerechnet, einem Gegner zu unterliegen, der nicht mehr war als das leise Ticken einer Uhr an seinem Handgelenk. Gabriel hatte Diana schweigend ins Haus gebracht und auf das Sofa im Wohnzimmer gelegt. Er hatte seine Hand auf die durchschnittene Kehle gelegt und die Wunde geheilt. Viel zu oft war das alles, was ein Avatar noch tun konnte. Die Morde der Söhne der Nacht durften nicht untersucht werden, denn wenn die Spur zu ihnen führte, führte sie auch irgendwann zu den Avataren. Und das letzte, was Gabriel und die anderen Avatare brauchten, war die Aufmerksamkeit der Menschheit. Viele Frauen starben durch die Hand der Söhne der Nacht, ohne zu erfahren, dass sie auserwählt waren, ihr Leben mit einem Avatar zu teilen. So, wie in den Papieren dieser Frauen, würde auch in Dianas Papieren am Ende stehen: „Todesursache unbekannt, keine äußeren oder inneren Verletzungen.“
Gabriel ließ das Handtuch zu Boden fallen und griff nach seiner schwarzen Kleidung, die ihn im Dunkel der Nacht unsichtbar machte. Er hörte wieder die gebrochene Stimme von Großmutter Melinda: „Du kannst nichts mehr tun, lass mich allein mit ihr. Ich werde den Arzt rufen und hoffe, er glaubt, sie sei im Schlaf gestorben.“ Gabriel hätte damals gern etwas Mutmachendes gesagt, aber es gab Momente, die brauchten keine Worte, weil die Stille in einem Raum unerträglich schrie.
Eilig zog Gabriel seine schwarzen Lederstiefel an, in die er seinen goldenen Dolch schob. Der Dolch wurde ihm von Kairon persönlich übergeben, er spiegelte Kairons Macht wieder und trug auf dem Griff eine Rose. Gabriel nahm den Ledermantel von der Garderobe und zog die Tür hinter sich zu, schnell lief er die Treppe hinunter. Hinter der Rezeption sah er einen in Gedanken versunkenen Georg stehen, der auf eine Zeitung starrte.
„Was ist los, Georg?“
„Sie ist tot“, antwortete er leise.
„Wer ist tot?“
„Maria, sie ist tot, sie wurde letzte Nacht ermordet.“ Ungläubig schüttelte Georg den Kopf. „Sie war die Tochter der zweiten Frau meines Großvaters Charles.“ „Gibt es schon eine Spur vom Täter?“, fragte Gabriel beunruhigt.
„Nein, hier steht nur, dass ihre Assistentin Lilli ihre Handtasche vergessen hatte, deshalb zurückkam und Maria mit durchschnittener Kehle gefunden hat. Ihre Assistentin stellte fest, dass ein wertvoller Dolch entwendet wurde, sonst fehlt nichts.“
In Gabriel stieg Panik auf. „Georg, es tut mir leid, ich habe eine wichtige Verabredung heute Nacht. Aber ich bin sicher, der Kerl kommt nicht davon.“
„Ich wünschte, ich hätte deine Zuversicht.“
Gabriel wandte sich zur Eingangstür. Wenn sich der Dolch nun bei den Söhnen der Nacht befand, dann befand sich der Schlüssel zum Höllentor bereits im Schloss, er musste nur noch herumgedreht werden. Dazu brauchten sie eine Auserwählte und hoffentlich, dachte Gabriel, haben sie die noch nicht gefunden. Kampfbereit und wütend schob Gabriel die Tür auf und erstarrte augenblicklich. Im Licht einer Straßenlaterne erwachte die Vergangenheit zum Leben, dort standen Henry und Diana.
20
Die Rathausuhr verkündete Mitternacht, als Lara müde vor ihrer Haustür ankam. Sie sehnte sich nach einer warmen Dusche und sonderbarerweise auch nach ihrem weichen Bett, egal welch dunkler Traum dort auf sie wartete. Hastig suchte Lara nach dem Haustürschlüssel, der irgendwo in ihrer Handtasche vergraben lag, als sie hinter sich eine vertraute Stimme hörte.
„Guten Abend, schöne Frau, darf ich Ihnen meine Hilfe anbieten?“
Lara stockte der Atem, das war sie, die faszinierende Stimme, die sie seit drei Monaten in den Tod schickte. Mit wild klopfendem Herzen drehte sie sich langsam um, um ihrem wahr gewordenen Alptraum in die Augen zu sehen. Ein äußerst attraktiver Mann lehnte lässig an der Straßenlaterne. Ihr Licht ließ seine grünen Augen gefährlich funkeln. Sein schwarzes Haar war zu einem Zopf gebunden. Seine Kleidung verriet, dass er einen teuren Geschmack hatte. Der Ledermantel saß wie maßgeschneidert, darunter trug er ein schwarzes Hemd, das so weit geöffnet war, dass Lara eine muskulöse Brust erkennen konnte. Die schwarze Hose schmiegte sich wie eine zweite
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