Soehne & Liebe der Nacht
besonders der Anblick von einem der Männer legte sich wie ein Pflaster auf ihre verwundete Seele.
Amanda betrachtete die Fremden genauer und ihr Reporterinstinkt schlug Alarm. Sie war sich sicher, dass sie etwas im Schilde führten. Niemand, der so teure Kleidung trug, fuhr in eine Kleinstadt, um die Seele baumeln zu lassen. Amanda wandte sich vom Fenster ab und rief sich zur Vernunft, sie war nicht in diese Stadt gekommen, um fremde Geheimnisse zu ergründen. Sie hatte genug damit zu tun, mit ihrer Vergangenheit abzuschließen und sie ein für alle Mal zu begraben. Sie brauchte keinen gutaussehenden Fremden, der ihrer Seele Linderung versprach, die doch nur wieder in einer neuen Enttäuschung enden würde. Statt ihre Gedanken an ihn zu verschwenden, nahm sich Amanda vor, endlich eine heiße Dusche zu nehmen und Paul nicht länger mit dem Frühstück warten zu lassen.
11
Vorsichtig spähte Thomas in den Thronsaal, um Kairon zu beobachten, der nachdenklich vor dem Gemälde von Cara stand. Die ganze Nacht hatte Thomas schlaflos im Bett gelegen und gegrübelt, welche Entscheidung Kairon getroffen haben mochte. Als Thomas vor fünf Monaten die Botschaft Ewans überbracht hatte, war seine Reaktion explosiv gewesen. Mehr als zwei Stunden hatte Kairon gebrüllt und gedroht, Ewan einen gewissen Körperteil zu entfernen, für die Schmach, dass das Blut eines Dieners in seiner Enkeltochter fließen würde. Saphira hatte ihrem Vater ins Gewissen geredet und ihn gebeten, Ewan eine Chance zu geben, doch Kairon hatte sich taub gestellt. Jeden Tag sah Thomas den Zorn in Kairons Augen. Doch nun wirkte er besorgt. Etwas musste auf Erden passiert sein, sonst hätte Kairon Saphira nicht so übereilt fortgeschickt. Thomas wollte endlich Klarheit und betrat mit einem Räuspern den Thronsaal.
„Mein Herrscher.“ Thomas verneigte sich. Kairon wandte sich von Caras Gemälde ab und warf einen kurzen Blick auf Thomas, bevor er auf seinem Thron Platz nahm.
„Komm näher!“, befahl er. Ehrfurchtsvoll kniete Thomas vor dem Thron nieder. Kairon nahm einen tiefen Atemzug, bevor er Thomas die Entscheidung, die er schweren Herzens getroffen hatte, mitteilte.
„Mein Bruder Richard entkam seinem Gefängnis aus der Unterwelt. Angesichts seines zerstörenden Charakters wurde mir schmerzlich bewusst, dass ich meine geliebte Cara für immer verliere, und zwar durch die Welt, die mein Bruder errichten wird. Du kehrst zur Erde zurück und überbringst meinen Töchtern sowie Ewan die Botschaft.“ Kairon atmete schwer bei dem Gedanken, seinem schlimmsten Feind seine Freundschaft anzubieten. „Ich nehme Ewans Friedensangebot an, wenn er sich meiner Tochter als würdig erweist und meinen Bruder dorthin zurückschickt, wo er hingehört. Sag Ewan, ich wünsche ihm viel Glück und erwarte, dass seine Hochzeit mit Cara in der höchsten Ebene stattfindet.“
Thomas erhob sich erleichtert wegen seiner Göttin und besorgt wegen der Erde zugleich. „Ich werde die Botschaft überbringen.“
12
Unaufhörlich tropften Kassandras Tränen auf das Fotoalbum, das aufgeschlagen auf ihren Knien lag. Mit verschwommenem Blick sah Kassandra auf Richards Bild und spürte, dass er ihr völlig fremd war, so als hätten sie nie den Traum einer Welt des Bösen geteilt. Kassandra fühlte sich wie eine Blume, die im Schnee erfror. Hatte sie früher geglaubt,' dass ihre Leidenschaft für das Böse sie über jeden Schmerz und jede Enttäuschung hinwegtrösten würde, hatte das Eis, das Richards Küsse auf ihrer Haut hinterließen, sie längst aus ihren blutigen Träumen gerissen. Das Böse kannte keine Liebe, nur sexuelle Gier, und Richard war das Böse durch und durch. Schmerzhaft traf Kassandra die bittere Erkenntnis, dass sie nicht teilhatte an Richards Träumen und Wünschen. Schon früh am Morgen war Richard mit Lilith aufgebrochen, um einen Mann namens Jared zu treffen, wie Kassandra eher zufällig gehört hatte. Wie so oft hatten die beiden Kassandra nicht in ihre Pläne eingeweiht. Sie war wieder allein und musste einsehen, dass das Böse, das sie so sehr herbeigesehnt hatte, nicht das Heilmittel für ihre kranke Seele war, das sie erhofft hatte. Kassandra atmete tief durch, längst hatte sie erkannt, dass sie eine Gefangene war, vor Richard konnte sie nicht mehr fliehen, das Böse gab keinen frei.
„Wie konnte ich so blind sein“, flüsterte Kassandra und schloss die Augen. Sie hoffte sehr, etwas anderes zu sehen als eine Welt aus Hass und
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