Söhne und Töchter des Feuers, Band Eins: Verbrannte Hoffnung (German Edition)
verschont.
Heute ist der Tag des Gebetes. In dem tief im Hurthwald liegenden Kloster sollen die Mönche den ganzen Tag, bis zum abendlichen, gemeinsamen Mahl, betend auf ihren Zimmern verbringen. Ob er tatsächlich, wenn er die Wahl hätte, lieber den ganzen Tag auf seinem kleinen, dunklen und sehr sparsam eingerichteten Zimmer verbringt oder doch lieber stundenlang an den vorbereitenden Waschungen von Geist und Körper für die tagtäglichen Rituale verbringt, darüber ist sich Lithan in diesem Augenblick nicht wirklich sicher. Nur anhand des sehr spärlich in sein Zimmer fallenden Tageslichts kann er erahnen, das der Tag noch längst nicht so weit fortgeschritten ist, wie es ihm lieb wäre. Liebste Mutter. Kann er damit tatsächlich den Brief beginnen? Wie er seine Mutter kennt, würde sie schon zu Beginn des Briefes, wenn sie ihn in ihren Händen hält, genervt mit den Augen rollen. Nur ungern möchte er die Erinnerung mit ihr teilen, zwölf Stunden ohne auch nur einen Fetzen Kleidung am Leib vor der Statue des seligen Rashan in einem dunklen, nur von wenigen Kerzen erleuchteten, muffigen Raum, gekauert zu haben, während hinter ihm zwei Glaubenswächter die regelkonforme Ausübung dieses Rituals beobachten. Soll er tatsächlich seine Gedanken mit ihr teilen, was er in diesem Moment empfunden hat? Sie sollte wissen, dass er jede Sekunde in diesem dunklen Verlies gehasst hat und nur dann bereit war die Existenz von Gott in Erwägung zu ziehen, wenn er sich die Frage stellte, ob ein Gott, wenn es ihn geben sollte, tatsächlich diese erniedrigende Art des Glaubensbekenntnis für gut heißen würde. Möchte sie wirklich wissen, dass er in der Kälte dieses Raumes Krämpfe und Schmerzen an Körperteilen empfunden hat, über die ein junger Mann von einundzwanzig Jahren nicht mit seiner Mutter sprechen möchte? Lithan weiß, dass er nicht darüber sprechen möchte, auch wenn seine Mutter, die bereits ihren ältesten Sohn ins Kloster geschickt hat, über jede Erfahrung, die er im Kloster macht, in Kenntnis gesetzt werden möchte. Doch er hat sie vor seiner Abreise ins Kloster nicht über jede private Einzelheit seines Lebens informiert, und daran möchte er festhalten. Diese Entscheidung hat er allein getroffen, für sich. Und das kann ihm niemand nehmen - weder seine Familie, noch seine Klosterbrüder.
Lithan Nachtwald liegt auf einem schmalen, sperrigen Bett in seinem kleinen, leblos grauen Zimmer. Die Hände hat er verschränkt hinter seinen Kopf auf das schmale, fleckige Kissen gelegt. Seit etwas mehr als einer Woche ist er inzwischen im Kloster, von der wöchentlichen Reinigung der Wäsche hat er allerdings noch nichts bemerkt. Seine gesamte Kleidung riecht verschwitzt. Plötzlich ist ein lautes, wuchtiges Klopfen an seiner Zimmertür zu hören.
Lithan reißt vor Schreck die Arme hinter seinem Kopf hervor und sitzt kerzengerade in seinem Bett, als ihn eine kratzige, gelangweilte Stimme ruft: „Post?“
Den Brief an seine Mutter hat er schon fast vergessen, obwohl er ihn erst vor wenigen Stunden geschrieben hat.
„Ja, einen Augenblick bitte.“ Offenbar hat ihn der Bruder, der gerade an seine Tür gehämmert hat, nicht gehört. Erneut klopft er gegen die Tür, noch etwas lauter als beim ersten Mal: „Hallo? Ist da niemand drin?“
Lithan verdreht genervt die Augen, holt tief Luft und ruft zurück: „Ja. Augenblick!“
Er greift nach dem Brief, der auf dem kleinen, morschen Holztisch direkt neben der Zimmertür steht, und möchte die Tür öffnen, um den Brief hinauszureichen.
Doch der grimmige Bursche, der draußen vor seiner Tür steht, drückt diese wieder zu. „Die Tür bleibt geschlossen! Wenn du Post hast, kannst du sie unter der Tür durchschieben.“
Lithan schüttelt ungläubig den Kopf. Er schiebt den Brief vorsichtig durch den Türschlitz hindurch. „Wann darf ich hier wieder raus?“
Der Brief wird ihm ruckartig aus den Händen gezogen, noch bevor Lithan ihn loslassen konnte. Er hört die Schritte des grimmigen Posteintreibers und seine leiser werdende Stimme: „Zum Essen. Wie immer.“
Lithan muss lachen. Zu sich selbst sagt er, während er dabei leicht den Kopf schüttelt und zu seinem Bett zurückgeht: „Ich hoffe, er vergisst die Eisenketten nicht, wenn er mich und die anderen Verbrecher zum Essen abholt.“
Er hatte schon vor seiner Ankunft im Kloster eine gefestigte Meinung zu dieser Art von Religion. Obwohl seine Mutter ihn nicht anders erzogen hat wie seine Geschwister,
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