Söldner des Geldes (German Edition)
windstill.»
Winter und Ben schwiegen. Die E-Mail traf ein, das Telefon piepste, und Winter öffnete den unscharfen Schnappschuss des TAA -Schlägers. «Nett.» Vorurteil bestätigt. Die Sonne war verschwunden. Winter bedankte sich und hängte auf. Geistesabwesend warf er einen letzten Blick auf den Gletscher.
Winter ging durch einen unwirtlichen Tunnel und kam zu einem Lift, mit dem er zur Party fuhr. Als er das Restaurant betrat, blieb er einen Moment stehen: Die Gäste waren dicht gedrängt. An einem Buffet wurden Champagner- und Weissweingläser gefüllt, die bei den Männern in den dunklen Anzügen und den Frauen in den glänzenden Roben regen Absatz fanden.
In einer Ecke spielte ein Quartett mit Handorgeln, Klarinette und Kontrabass volkstümliche Ländlermusik. Die gelegentlichen Jauchzer gingen im Geschnatter der Partygäste und Klirren der Gläser unter. Es machte den Anschein, als wollten sich alle zuprosten.
Die Bedienung trug traditionelle Schweizer Tracht, obwohl wahrscheinlich die meisten von ihnen aus Österreich oder von noch weiter östlich herkamen. Hauptsache, blond und drall. Etwa zwei Drittel der Gäste waren Kunden mit Begleitung. Der Rest Kadermitarbeiter der Bank.
Die beiden Japaner von vorhin gestikulierten mit einem Kundenberater aus Genf.
Winter fühlte sich im Gedränge einsam. Er vermisste Anne. Oder Fatima? Er setzte sein Partygesicht auf und stürzte sich ins Getümmel. Er hasste Partys. Aber wenn er schon da war, wollte er sich amüsieren. Die Jahreskonferenz war eine gute Gelegenheit, mit Kollegen zu schwatzen, denen Winter normalerweise nicht begegnete.
Er zirkulierte für ein paar Minuten und schüttelte so viele Hände wie nur möglich. Es ging auch darum, gesehen zu werden. Von Tobler war ein Meister darin. Man hatte den Eindruck, dass er gleichzeitig überall war.
Kurz nach Winters Runde ertönte eine Kuhglocke.
Musik und Gäste verstummten.
Von Tobler hielt eine launige Begrüssungsansprache und kündigte an, dass das Abendessen jetzt serviert würde. Alle strömten in den Saal mit den rot-weiss karierten Tischtüchern. Dampfende Fonduepfannen wurden aufgetischt.
Jemand befahl: «Rühren! Rühren! Rühren!»
Gelächter schallte, und die Meute stürzte sich mit den auf Gabeln aufgespiessten Brocken Weissbrot auf den geschmolzenen Käse.
Nahe dem Ausgang setzte sich Winter zu einem russischen Ehepaar aus St. Petersburg. Der Russe hatte unter den «verfluchten Kommunisten» als Sanitär geschuftet und besass heute eine Firma, die sich auf Röhren spezialisiert hatte.
Es gab in St. Petersburg viele Rohrsysteme, für alles Mögliche. Sie amüsierten sich köstlich. Beim Fondue gefiel dem Russen, dass der Käse den Alkohol gut absorbierte. Und die Regel, dass derjenige, der sein Brotstück beim Rühren verlor, eine Runde bezahlen musste. Er wollte das in Russland auch einführen. Vielleicht liess sich Fondue auch im grossen Stil exportieren? Nach dem Käse versuchten sie den Unterschied zwischen Kirsch und Wodka herauszudestillieren.
Dazu waren Experimente, eine ganze Serie von Experimenten nötig.
Gegen zehn Uhr fand sich Winter an der frischen Luft auf der Aussichtsterrasse wieder. Der Käse lag ihm wie ein Klumpen schwer im Magen, und der Alkohol hatte ihm ein wenig zugesetzt.
Den beiden Japanern am anderen Ende der Terrasse schien es schlechter zu gehen. Fehlte ihnen nicht ein Gen, um Käse zu verdauen?
Winter atmete tief durch. Der Himmel war klar, die Sterne glitzerten, und es war beruhigend still hier draussen. Die Berge rundherum waren nur noch eine gezackte Schablone.
Er hörte Schritte hinter sich und drehte sich langsam um.
Die Silhouette eines kleinen, leicht gebückten Mannes spazierte über die Terrasse. Er rauchte eine Zigarre, deren Ende rot glühte. Er machte einen Bogen und kam auf Winter zu. Dieser lehnte sich mit dem Rücken ans Geländer und sagte: «Guten Abend, Herr Marti.»
«Hallo, Winter.» Marti zog genüsslich an seiner Cohiba. Der Chefökonom der Bank war ein rüstiger Greis weit jenseits des Pensionsalters, der seine Verwaltungsratsmandate schon längst abgegeben hatte, aber immer noch täglich in seinem Büro auftauchte. Sein Beziehungsnetz war exquisit. Winter dachte an Meister Yoda aus «Star Wars».
Der Alte sagte: «Netter Abend, nicht wahr?»
Ein Hauch von Ironie.
Sie schauten zusammen auf den mächtigen Gletscher.
«Ganz interessant. Ein russischer Sanitär hat mich unter den Tisch getrunken. Er erneuert Röhren und
Weitere Kostenlose Bücher